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Magazin der Schüßler-Plan Gruppe

Ausgabe 14 | 2020 Ingenieure und Auftraggeber im Dialog

Infrastruktur

Digitalisierte Verkehrsdaten

Wie viele Fahrzeuge bzw. Personen legen wann wie viele Wege mit jeweils welchem Zweck zurück? Wo liegen Start- und Zielpunkt je Weg? Welche Verkehrsmittel werden genutzt? Ob zur Dimensionierung einer Verkehrsanlage oder für aussagefähige Verkehrsprognosen: Die Erhebung und anschließende Verarbeitung von verkehrlichen Daten ist für die Verkehrsplanung unverzichtbar.

„Auf meiner Strecke ist gerade ein Stau mit 2,4 km Länge und einer Verzögerung von 14 Minuten. Ich fahre lieber etwas später los!“ –  War das Radio früher die flächendeckend einzige verlässliche Quelle für Staumeldungen, genügt heute ein kurzer Blick ins Internet, um das aktuelle Verkehrsgeschehen auf Straßen detailreich und anwenderfreundlich einzusehen. Die empirische Erfassung von Verkehrsdaten befindet sich im Wandel. Grund sind Instrumente der Digitalisierung, die auch die Arbeit in der Verkehrsplanung verändern. Doch können die bewährten Methoden vollständig ersetzt werden?

Die digitale Gegenwart

Zur Erfassung gibt es unterschiedliche Methoden. Während früher noch von Hand gezählt wurde, gibt es mittlerweile automatisierte Lösungen. Neben festinstallierten Induktionsschleifen und Echtzeiterfassung in den Verkehrszentralen sind auch Radargeräte und andere Signalempfänger im Einsatz. Detaillierte Ergebnisse liefern Videoerfassungen des Verkehrsgeschehens inkl. softwaregestützter, voll-automatischer Auswertung, die sogar einen Sattelschlepper von einem Bus oder einem Lkw mit Anhänger unterscheiden kann.

Erhebungsmethoden im Straßenverkehr können vereinfacht in die Kategorien „Zählung“ und „Verfolgung“ unterteilt werden. Während in der Zählung für einen festgelegten Zeitraum und Ort möglichst alle Verkehrsteilnehmenden erhoben werden, wird bei der Verfolgung möglichst der Start- und Zielpunkt sowie nach Möglichkeit auch die Route eines Weges oder Wegeabschnitts erfasst. Es gibt klassische Erhebungsmethoden, die nur zählen (Schleife, Radar) und andere, die eine Zählung mit einer Verfolgung kombinieren (Video, Kennzeichenerfassung, Befragung). Die Bestimmung der anzuwendenden Methode richtet sich nach den Mindestanforderungen der zu erhebenden Daten, wobei im Markt vor allem das Verhältnis von Nutzen und Kosten eine entscheidende Rolle spielt.

Datenschutz und Big Data

Eine Ideallösung zur lückenlosen Bestimmung des Verkehrsaufkommens ist für Deutschland ein Zukunftsszenario und datenschutzrechtlich umstritten: die vollständige Zählung und gleichzeitige Verfolgung aller durchgeführten Wege, möglichst in Echtzeit. Durch die flächendeckende Nutzung von Smartphones kommen wir diesem Szenario doch bereits näher. Unternehmen wie Google oder Apple verfügen über Echtzeit-Positionsdaten von Nutzern auf der ganzen Welt. Je nach Hersteller der Smartphones oder Ausführung von Apps können Wege nach Start- und Zielpunkt, nach Geschwindigkeit und sogar metergenau nach genutzten Strecken und Routen ausgewertet werden. Mittels Referenzdaten zum Mobilitätsverhalten sind sogar Ableitungen der jeweiligen Wegezwecke möglich. Damit könnte die Route zur Arbeit und der Wohn- und Arbeitsort identifiziert werden, auch die Arbeitsdauer und mögliche Umwege für Einkauf oder Besuche wären ableitbar.

Es mögen vor allem rechtliche und unternehmerische Gründe dafürsprechen, dass die Daten von Google, Apple, etc. aktuell weder frei verfügbar sind noch marktwirtschaftlich vertrieben werden. Auf den unternehmenseigenen Plattformen werden die Daten dagegen für Navigations-Apps und deren Optimierung genutzt. Tatsächlich ist man nicht länger auf Staumeldungen aus dem Radio angewiesen, die teils durch Beobachtungen ermittelt und zum Zeitpunkt der Meldung ggfs. schon nicht mehr aktuell sind. In Echtzeit werden Reisezeiten ausgegeben und alternative Routen neu berechnet, Staus und Verzögerungen werden meter- bzw. minutengenau prognostiziert.

Bewegungsdaten für die Verkehrsplanung

Für die Verkehrsplanung nutzbar sind dagegen die von verschiedenen Telekommunikationsunternehmen kostenpflichtig angebotenen Bewegungsdaten: Über den Verbleib von Mobilfunkgeräten in einer Funkzelle können Wege mit Start und Ziel anonymisiert ausgelesen und mit den zeitlichen Eigenschaften auch bestimmten Wegezwecken zugeordnet werden. Ein nennenswerter Nachteil zum GPS: Die Bewegungsdaten können nur von Funkzelle zu Funkzelle abgeleitet werden und sind dadurch deutlich ungenauer. Aktuell werden Wege innerhalb eines Funkzellengebiets, das je nach Typ im Durchmesser zwischen wenigen 100 m und über 20 km groß sein kann, nicht abgebildet. Dadurch sind auch viele Fußwege und einige Wege per Fahrrad nicht sichtbar. In der Verfolgung von längeren Wegen ergeben sich durch die Information von Start- und Zielpunkt jedoch Erkenntnisse, die bisher nur durch aufwendige Personenbefragungen erfassbar waren. Die ZIV GmbH hat Daten aus Funkzellen bereits zur Kalibrierung von Verkehrsmodellen im Einsatz und auch die Medienwelt hat in Zeiten von Corona die Fragestellungen „Sind die Deutschen wieder mobiler?“ mit entsprechenden Informationen veröffentlicht.

Methoden-Mix: Digitale Verkehrsdaten als Ergänzung

Die zu wählende Erhebungsmethode wird aus Kostengründen auch weiterhin vom Einsatzbereich und den Mindestanforderungen an die Daten abhängen. Ob künftig auch Bewegungs- und Positionsdaten standardmäßig zur Ermittlung und Kalibrierung des Verkehrsaufkommens eingesetzt werden können, hängt von der Verfügbarkeit und der räumlichen Auflösung ab. Solange Google, Apple und Telekommunikationsunternehmen jeweils getrennte, unverknüpfbare oder unzugängliche Datensammlungen aufbauen, wird das Potential zur Nutzung verkehrlicher Informationen in Summe nicht ausgeschöpft. Um eine gleichzeitige Erhebung aller Wege zu realisieren, müssen alle mobilen Personen zudem über geeignete Endgeräte verfügen und die relevanten Daten auch freigeben. Eine vollständige Ablösung durch Big Data in der verkehrlichen Datenerfassung erscheint daher jetzt noch unwahrscheinlich. Mit den verfügbaren, digitalen Verfolgungsdaten können die klassischen Verkehrszählungen aber bereits heute gezielt und sinnvoll ergänzt werden.

Autor: Robert Linton, Projektleiter ZIV GmbH