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Magazin der Schüßler-Plan Gruppe

Ausgabe 15 | 2021 Wissen. Wandel. Zukunft.

Verkehrsplanung

Vorfahrt achten. Neue Wege für den Fahrradverkehr.

ZIV – ein Unternehmen der Schüßler-Plan Gruppe

Das ZIV - Zentrum für Integrierte Verkehrssysteme in Darmstadt steht für konzeptionelle Verkehrsplanung. Arbeitsfelder sind der Fuß- und Radverkehr, der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV), der motorisierte Individualverkehr sowie Güter- und Wirtschaftsverkehre. Die Spannbreite der ZIV-Projekte ist groß: Auf der einen Seite handelt es sich um großräumige Verkehrskonzepte mit strategischem Charakter, wie Verkehrsentwicklungspläne, regionale Mobilitätskonzepte oder auch sektorale Konzepte, wie die Potentialanalyse für Radschnellverbindungen in Hessen; auf der anderen Seite um Verkehrsuntersuchungen auf Quartiersebene, wie z. B. die Erbringung von Nachweisen zur Qualität der Verkehrsabwicklung nach HBS (Handbuch für die Bemessung von Straßenverkehrsanlagen) für einzelne Knotenpunkte.
Außerdem befasst sich das ZIV mit Erschließungskonzepten für B-Planverfahren, Machbarkeitsuntersuchungen, Masterplänen und Nutzen-Kosten-Untersuchungen (NKU). Auch Mobilitätskonzepte für Firmen und Grundstücksentwickler oder die Erstellung von Verkehrskonzepten für Baustellen sowie die Durchführung von Verkehrserhebungen und -befragungen gehören zum Leistungsspektrum des ZIV.

Den Fragen für plan 15 stellten sich die Geschäftsführer Dipl.-Geogr. Stephan Kritzinger und Dr.-Ing. Owen Dieleman.

Herr Kritzinger, Herr Dieleman, das ZIV ist nun seit 22 Jahren am Markt aktiv. Wie haben sich die Aufgaben und das Portfolio über die Jahre entwickelt?

OWEN DIELEMAN – Am Anfang lag noch ein klarer Fokus auf der Schnittstelle Universität/Praxis. In den Anfangsjahren wurde daher neben den verkehrsplanerischen Aufgaben noch viel geforscht. Ich kann mich noch gut an Themen wie die Entwicklung einer Indoor-Navigation auf der Basis von Bluetooth-Signalen erinnern oder an Detektoren, die auf der Grundlage von Magnetfelderfassung Fahrzeuge mit hoher Genauigkeit zählen sollten. Es hat sich aber gezeigt, dass sich mit diesem Ansatz kein Geld verdienen ließ. Wir sind daher schon seit längerer Zeit als reines Planungsbüro im Bereich Verkehrsplanung am Markt; allerdings weiterhin mit dem Anspruch, durch unsere Nähe zur Technischen Universität Darmstadt und zu den Fachhochschulen im Rhein-Main-Gebiet immer auf der Grundlage der neuesten Methoden und Erkenntnissen zu arbeiten. Zu unserem Arbeitsverständnis gehört, dass wir auch in Zukunft anspruchsvolle Aufgaben und innovative Themen bearbeiten können und wollen.

Allerdings sind die Fragestellungen nicht mehr so stark auf den Kfz-Verkehr fokussiert. Eine integrierte Betrachtung des Fuß- und Radverkehrs, des Mobilitätsmanagements, eine intelligente Nutzung vorhandener Kapazitäten und neue Mobilitätsformen sind mittlerweile bei fast allen Aufgaben genauso gefragt. Von daher waren wir vielleicht auch unserer Zeit bei der Gründung des ZIV ein stückweit voraus. Stark entwickelt hat sich in den letzten Jahren der Bereich der Verkehrsberatung. Mehr denn je begleiten wir unsere Auftraggeber bei der Entwicklung und Umsetzung von Mobilitätskonzepten.

Wie sieht die künftige Entwicklung/Ausrichtung des ZIV aus?

STEPHAN KRITZINGER – Wir gehören im Rhein-Main-Gebiet zu den führenden Verkehrsplanungsbüros und wollen diese Position stärken. Dazu gehört, dass wir unsere Kompetenzen in Mikro- und Makrosimulation gezielt weiter ausbauen und unsere Kooperationen mit anderen Büros leben, allen voran mit Schüßler-Plan. Radverkehr ist gerade sehr gefragt und nicht nur aus Planungssicht interessant, sondern auch für uns persönlich ein Verkehrsmittel der Zukunft. Ziel ist auch, dass wir personell noch weiterwachsen.

Aus welchen Bereichen kommen Ihre Hauptkunden?

STEPHAN KRITZINGER – Unsere Kunden kommen überwiegend aus dem Rhein-Main-Gebiet. Es sind zahlreiche Kommunen, Hessen Mobil, das Wirtschaftsministerium, aber auch die Fraport, Industrieunternehmen, Projektentwickler und Verkehrsunternehmen. Wir arbeiten zunehmend auch in Nordrhein-Westfalen und im süddeutschen Raum.

Ist es Ihnen lieber, von Anfang an in die Planung bestimmter Projekte eingebunden zu sein oder möchten Sie lieber zu einem späteren Zeitpunkt einsteigen, wenn bestehende Verkehrsabläufe optimiert werden sollen? Oder ist das von den jeweiligen Projekten abhängig?

STEPHAN KRITZINGER – Aufgrund unserer fachlichen Ausrichtung kommen wir praktisch immer zu Beginn der Projekte zum Einsatz. Nicht wenige Aufträge haben konzeptionellen Charakter, wie beispielsweise Verkehrsentwicklungs- und Mobilitätspläne. Einzelne Maßnahmen werden in diesen Planwerken noch sehr allgemein beschrieben. Insbesondere bei Mikrosimulationen und Verkehrsleistungsfähigkeitsberechnungen werden uns jedoch sehr konkrete Fragen zur Gestaltung von Knotenpunkten und der Optimierung von Verkehrsabläufen gestellt. Aber auch dort stehen die Planungen oft erst am Anfang oder werden sogar wieder aufgegeben.

OWEN DIELEMAN – Ich persönlich finde z. B. die Entwicklung einer neuen Verkehrserschließung von Anfang an am spannendsten. Allerdings kann es manchmal sehr lange dauern, bis die entwickelten Ideen umgesetzt werden. Nichtsdestotrotz ist es sehr schön und beeindruckend zu sehen, wenn Ideen von vor 10 bis 15 Jahren realisiert werden, wie z. B. bei der Erschließung der Terminals 1 und 3 am Flughafen Frankfurt. Bei der Optimierung von bestehenden Verkehrsabläufen sind meist viel mehr Randbedingungen einzuhalten, was wiederum einen ganz eigenen Reiz hat. Von daher machen wir beides gerne.  

Herr Kritzinger, Sie sind von der Ausbildung her Diplom-Geograph. Auch Ihr 25-köpfiges Team besteht nicht ausschließlich aus Ingenieur*innen. Welche Vorteile bringt diese Interdisziplinarität für die Arbeit des ZIV?

STEPHAN KRITZINGER – Ich bin von der Interdisziplinarität absolut überzeugt, weil man ein Projekt oder einen Auftrag nicht nur aus einer Perspektive bearbeiten sollte. Gerade Verkehr ist nicht nur Technik pur, sondern hat viel mit sozialen, wirtschaftlichen, städtebaulichen Aspekten zu tun und ist auch emotional besetzt. Interdisziplinarität habe ich auch in meinen vorherigen Tätigkeiten als einen Schlüssel zum Erfolg erfahren. Um Verkehr integrativ gestalten zu können – und das ist ja unser Anspruch – müssen wir über unseren eigenen Tellerrand hinausschauen können. Das gelingt dann am besten, wenn wir unterschiedliche Blickwinkel zulassen, diese in unserer Arbeit aufnehmen und in die Ergebnisse einfließen lassen.

Der Blick in Ihre Büroräumlichkeiten und auf die Arbeitsweise Ihrer Mitarbeiter*innen vermittelt das Gefühl, dass es hier recht familiär zugeht. Täuscht der Eindruck?

OWEN DIELEMAN – Wir haben hier einen lockeren Umgang und – wie ich finde – einen sehr guten Teamspirit. Viele der Kolleginnen und Kollegen treffen sich auch in der Freizeit und vor allem vor Corona gab es häufiger gemeinsame sportliche Aktivitäten, wie z. B. ein nahezu wöchentliches Fußballspiel. In der Mittagspause sitzen wir jeden Tag fast alle zusammen und essen gemeinsam im großen Konferenzraum. Auch das finde ich sehr wichtig. Man verbringt viel Zeit auf der Arbeit, dann sollte man sich dort auch möglichst wohlfühlen. Und da wir fast alle Projekte in wechselnd zusammengesetzten Teams bearbeiten, trägt ein gutes, offenes Miteinander auch zu guten Arbeitsergebnissen bei.

Seit 2011 gehört das ZIV zur Gruppe der Schüßler-Plan Ingenieurgesellschaft. Welche strategischen Überlegungen standen damals dahinter, sich einem großen inhabergeführten Unternehmen anzuschließen?

STEPHAN KRITZINGER – Die Frage kann ich eigentlich so nicht beantworten, weil ich damals noch nicht beim ZIV war. Aber die Konstellation, dass ein großes Ingenieurbüro eine enge Verbindung mit einem Verkehrsplanungsbüro eingeht, ist an sich sinnvoll: Wir bearbeiten Verkehrsprojekte in einer sehr frühen Phase und gewinnen so Zugang zu Kunden, die in der Realisierungsphase für Schüßler-Plan interessant sind. Unser Vorteil ist, dass wir in Angeboten, die Schüßler-Plan an ihre Kunden richtet, als Nachunternehmer für Aufgaben, die Schüßler-Plan in dieser Form nicht bearbeitet, mit im Boot sind.

Sie sitzen mit Ihrem Unternehmen in Darmstadt und somit in unmittelbarer Nähe zur TU Darmstadt. Gibt es aufgrund dieser Nähe eine „natürliche“ Zusammenarbeit bzw. Kooperation mit der Hochschule? Entwickeln sich aus der Zusammenarbeit mit der Hochschule Forschungsansätze, die Sie vorantreiben bzw. weiterentwickeln?

OWEN DIELEMAN – Wie schon gesagt, steht die Forschung nicht mehr im Mittelpunkt bei uns. Aber wir pflegen weiterhin gute Kontakte, über die sich auch gemeinsame Projekte ergeben. Ich persönlich habe einen Lehrauftrag an der TU Darmstadt zum Thema „Modellierung der Verkehrsnachfrage“, wodurch sich die Nähe natürlich von allein ergibt. Und nicht zu vergessen sind die Studierenden, die bei uns arbeiten. Wir haben einen festen Stamm von ca. fünf bis acht Studierenden, sowohl von der TU als auch von der FH, die uns bei der Bearbeitung der Projekte tatkräftig unterstützen. Nicht wenige der festen Mitarbeiter haben als studentische Mitarbeiter bei uns angefangen.  

Wie hat sich die Verkehrsplanung in den vergangenen zwei Jahrzehnten verändert? Verliert die Straße an Bedeutung und rücken somit die Schiene und neuerdings auch die Radwege mehr in den Vordergrund?

STEPHAN KRITZINGER – Seit es Mobiltelefone gibt und damit individuelle Bewegungsprofile ermittelt werden können, steht der Verkehrsplanung eine zusätzliche empirische Basis zur Verfügung, die klassische Verkehrszählungen und -befragungen nicht ersetzt, sondern ergänzt. Damit wachsen auch die Ansprüche an die Verkehrsplanung, den Detaillierungsgrad und die Prognosefähigkeit des Verkehrs. Ergebnisse werden somit genauer, aber nicht unbedingt verlässlicher. Tatsächlich planen wir mittlerweile mehr im Zusammenhang mit Stadtbahnprojekten und Radverkehr. Die Bedeutung des Kfz-Verkehrs schmälert diese Verschiebung jedoch keineswegs.

Wie sieht es mit den Fußgängern aus? Gibt es für diese Gruppe eigenständige Projekte oder laufen sie im wahrsten Sinne des Wortes immer mit?

OWEN DIELEMAN – Es gibt immer mehr eigenständige Projekte bzw. Projekte mit Fokus auf den Fußgängerverkehr. Allerdings man muss dabei feststellen, dass der Fußgängerverkehr meist als sich selbst organisierendes System angesehen wird. Bei den Fußgängerprojekten geht es meist um Barrierefreiheit und Schulwegkonzepte. Aber auch hier findet eine veränderte Wahrnehmung statt. Die Sicherstellung von ausreichenden Gehwegbreiten ist mittlerweile ein Thema, über das diskutiert wird, auch wenn dies zu Lasten des Stellplatzangebots für Pkw gehen sollte. Die Belange des Fußgängerverkehrs werden z. B. auch in den Regelwerken zur Bewertung der Qualität der Verkehrsabwicklung mittlerweile besser berücksichtigt.

Ist es möglich, die Verkehrsplanung für jeden einzelnen Verkehrsteilnehmer unabhängig von den anderen Verkehrsteilnehmer*innen zu entwickeln oder ist dies nur in (bestimmter) Kombination möglich?

OWEN DIELEMAN – Die verschiedenen Verkehrsträger konkurrieren in fast allen Fällen um die knappen Ressourcen Fläche und Finanzierung. Ferner interagieren die unterschiedlichen Verkehrsteilnehmer und Verkehrsträger ständig. Eine integrierte Betrachtung ist daher immer notwendig, auch wenn die Aufgabenstellung auf einen Verkehrsträger gerichtet ist.

Gibt es bereits Erkenntnisse darüber, ob und wie sich die Corona-Pandemie auf die Nutzung der Verkehrsträger auswirkt?

STEPHAN KRITZINGER – Die verkehrlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie sind von zahlreichen Verkehrsforschern untersucht worden. Vereinfachend lässt sich sagen, dass seit dem Spätsommer 2020 das Verkehrsverhalten wieder weitgehend den Vor-Corona-Mustern entsprochen hat, mit Ausnahme im öffentlichen Verkehr und in der Luftfahrt, wo die Nachfrage deutlich niedriger ausfällt. Auch der Radverkehr, im Frühsommer der Gewinner, ist wieder fast auf das ursprüngliche Niveau gesunken. Wir vom ZIV haben die Verkehrsstärken auf den Autobahnen im Rhein-Main-Gebiet wöchentlich ausgewertet und insbesondere im März und April starke Rückgänge im gesamten Kfz-Verkehr, nicht jedoch beim Logistik- und Straßengüterverkehr registrieren können. Mittlerweile sind die ursprünglichen Verkehrsbelastungen wieder fast erreicht worden.

Herr Kritzinger, Herr Dr. Dieleman, vielen Dank für das Gespräch!
Fotos: Theodor Barth