Magazin der Schüßler-Plan Gruppe
Ausgabe 16 | 2021 Urbanisierung
Der Stadtteil Grasbrook liegt gegenüber der Hamburger HafenCity, am Südufer der Elbe. Er wurde ab 1850 für die Hafennutzung erschlossen. Seit den 1960er-Jahren befand sich hier das Überseezentrum, für lange Zeit die größte Sammel- und Verteilerhalle der Welt. Nachdem es 2016 wegen mangelnder Wirtschaftlichkeit geschlossen wurde, rückte das umliegende Gebiet als neu zu entwickelndem Stadtteil „Grasbrook“ ins Interesse der Hamburger Stadtverwaltung. Im Jahr 2019 lobte die HafenCity Hamburg GmbH gemeinsam mit der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen sowie der Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft einen Wettbewerb für die städtebauliche Funktions- und Freiraumplanung aus. Gewünscht ist ein vielfältiger und innovativer Stadtteil an einem hybriden Standort: umgeben vom Hafen, von den Stadtteilen Veddel und Wilhelmsburg sowie, jenseits der Elbe, von Speicherstadt und HafenCity. Von zwei Hafenbecken durchzogen, soll sich der „Grasbrook“ in zwei Quartiere gliedern: das Moldauhafenquartier zwischen der Elbe und dem Moldauhafen und das Hafentorquartier mit seinen denkmalgeschützten Gebäuden westlich und östlich des Saalehafens. Dieser gemischte Stadtteil mit hoher innerstädtischer Dichte soll ein Nebeneinander von Wohnen und Arbeiten ermöglichen, mindestens eine CO2-neutrale Gesamtbilanz erreichen und soziale Nachhaltigkeit fördern. Vor allem aber fungiert Grasbrook in Zukunft als Nahtstelle zur östlich angrenzenden Veddel.
Das Verfahren eines wettbewerblichen Dialogs in zwei Phasen ermöglichte eine kontinuierliche Bearbeitung der Ergebnisse und die Einbindung der Öffentlichkeit: Die drei interdisziplinären Teams, in der zweiten Phase zusammengestellt, vertieften ihre Entwürfe im Dialog untereinander, aber auch mit der Jury und der Öffentlichkeit. Die Beteiligung von circa 2.500 Bürger*innen fand in acht Werkstätten während des Verfahrens und im Vorfeld des Wettbewerbs statt, die in Zusammenarbeit mit dem Prozessbegleiter Urban Catalyst durchgeführt wurden. Dabei diskutierten die Teilnehmer mit Fachexpertinnen über Themen wie Mobilität, Klima, Biodiversität und Nutzungsmischung. Zentraler Punkt der Anwohnerinnen war auch die Verbindung zum Stadtteil Veddel.
HafenCity Hamburg GmbH
Herzog & de Meuron und Vogt Landschaftsarchitekten
Wohnen gesamt: 288.500 m2
Gewerbe: 570.500 m2
Sondernutzung: 42.500 m2
Gesamt: 901.500 m2
Objektplanung Lph. 1 – 9
Tragwerksplanung Lph. 1 – 6
Bauoberleitung/
örtl. Bauüberwachung
Beratung zur Erstellung eines Funktionsplans
Der Entwurf des Teams aus Herzog & de Meuron und Vogt Landschaftsarchitekten sticht weniger durch experimentellen Städtebau hervor als durch seine „Einfachheit und Robustheit“, so die Preisrichter des Wettbewerbs. Entscheidendes Kriterium für die Auswahl des Teams war die Großzügigkeit des nutzbaren Grüns: Die Landschaftsarchitektinnen fassten sämtliche Grünflächen zu einem 5 ha großen Volkspark als Kern des neuen Quartiers zusammen und bieten damit einen nachbarschaftlichen Anknüpfungspunkt für die Bewohner umliegender Stadtteile. Um den Park herum sollen drei Teilbereiche entstehen, ablesbar in Materialität und Bebauungsstruktur. Zur Elbe planen die Architekten eine markante Bebauungskante mit neun bis zehn Geschossen. Matthias Sauerbruch, der Juryvorsitzende, begrüßte diese Geste aus variierender Höhenentwicklung und Freiraumtopografie, die auch über die Weite der Elbe hin lesbar sein wird und ein spezifisches Ortsbild erzeugt.
Der zweite Ankerpunkt des Siegerkonzepts ist die Ausbildung eines städtebaulichen Zentrums an der Aufweitung des Hafenbeckens: der „Überseeplatz“ als Ankunftsort für das Quartier. Hier befindet sich die Haltestelle der geplanten Verlängerung der U4. Außerdem ist er Teil eines Aktivitätenbandes, dessen Anfangspunkt eine breite Fußgängerbrücke über die Verkehrsachse Am Saalehafen/Am Moldauhafen bildet. Diese neue Brücke, zu der Schüßler-Plan in beratender Funktion tätig ist, setzt die Verbindung zur Veddel, laut Jury, auf die klarste Art und Weise um.
Mit dem Grasbrook soll ein „Fortschrittslabor“ für die Stadt Hamburg entstehen, das unter anderem dem Erkenntnisgewinn zum Hochwasserschutz dient. Ein diesbezüglich besonders sensibler Bereich ist die Uferzone, die zudem ökologisch optimiert zu konzipieren ist. „Auch wenn sie in Hafenbereichen eher selten zu finden sind, sollten vorhandene ökologische Qualitäten an Land und insbesondere im Wasser erhalten und aufgewertet werden,“ erläutert der verantwortliche Projektleiter der HafenCity Hamburg GmbH, Henning Liebig, „denn das Potenzial einer Umnutzung ehemaliger Hafenflächen liegt auch in einer ökologischen Verbesserung für das gesamte Gebiet“. Um den hohen Anforderungen der CO2-Neutralität gerecht zu werden, haben sich die Ingenieurinnen von Schüßler-Plan und Sellhorn zum Ziel gesetzt, vorhandene Böschungen und Bausubstanz zu erhalten, für den Neubau ressourcenschonende Bauverfahren zu wählen und langlebige, lokale Baustoffe einzusetzen. Außerdem soll ein eventueller Verlust geschützter Biotopflächen im restlichen Gebiet kompensiert werden.
Beim Hochwasserschutz ist Schüßler-Plan zum einen in beratender Funktion beteiligt, zum anderen ist das Unternehmen zusammen mit Sellhorn für die Objekt- und Tragwerksplanung der Bestandskaimauern, Böschungen und neuen Ufereinfassungen zuständig. Dafür bilden die Daten der Hochwasserprognose für 120 Jahre die Basis, anders als bei anderen städtischen Projekten, die auf einem Prognosezeitraum von lediglich 50 Jahren beruhen. Aus dem erhöhten Maßstab ergeben sich Geländesprünge, die überwunden und barrierefrei gestaltet werden müssen, damit alle – auch Menschen mit Behinderung, Eltern mit Kinderwagen, Fahrradfahrende, Rollkofferbesitzer etc. – sich in Grasbrook frei bewegen können.