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Magazin der Schüßler-Plan Gruppe

Ausgabe 16 | 2021 Urbanisierung

Essay | Oona Horx-Strathern

Fünf Thesen für eine intelligente Stadt

Eine Stadt, die ein gutes Leben für alle Menschen ermöglicht, muss weit mehr sein als „smart“. Es geht vielmehr um die Bedürfnisse von Gemeinschaften, die sich in einer Stadt für ein nachhaltiges und gesundes Leben formen.

Die Bandbreite der Eigenschaften, die eine Stadt lebenswert machen, reicht von flexibel, vielseitig, anpassungsfähig, barrierefrei, intelligent bis hin zu widerstandsfähig. Am häufigsten aber hören wir heute vom Aufstieg der intelligenten Stadt. Es gibt zwar keinen Konsens darüber, was eine Stadt intelligent macht, aber es gibt zumindest die gemeinsame Auffassung, dass der Trend zur Digitalisierung intelligente Städte notwendig zu machen scheint. Ebenso wie das Konzept des intelligenten Wohnens gnadenlos von der Technik in Beschlag genommen wurde, so wurde auch die Vorstellung einer intelligenten Stadt von der Technik vereinnahmt, in der die Einwohner eher wie Daten als wie Individuen behandelt werden.

Das moderne Konzept von „intelligent“ setzt Ordnung und vor allem Kontrolle voraus. Im Gegensatz dazu sagte der dänische Dichter Søren Ulrik Thomsen einmal, eine gut funktionierende Stadt müsse über drei zentrale Qualitäten verfügen: Sie solle komplex, chaotisch und kolossal sein. Die Vorstellung, Chaos oder Unordnung gutzuheißen, wird im Bereich der Städteplanung kontrovers diskutiert und zieht natürlich die Frage nach sich, wie man Chaos und Unordnung planen kann. Die bekannte amerikanische Städteaktivistin und Schriftstellerin Jane Jacobs sagte einmal: „Man kann einer Stadt keine Logik überstülpen. Die Menschen erschaffen sie, und wir müssen unsere Pläne an ihnen ausrichten und nicht an den Gebäuden.“

Tim Harfords Buch „Messy“ ist eine Hommage an die Unordnung, weil sie der Schlüssel zur Offenheit und Anpassungsfähigkeit sei – Prinzipien, die auf Städte ebenso zutreffen wie auf den Beruf oder die Beziehung. Er glaubt, dass „wahre Kreativität, Spannung und Menschlichkeit sich in den unordentlichen Teilen des Lebens und nicht in den ordentlichen finden“. Dieses Prinzip gilt seiner Meinung nach für alles – von Gebäuden bis zu Kinderspielplätzen. Harford erläutert das am Beispiel von Carl Theodor Sørensen, einem dänischen Landschaftsarchitekten, der in den 1930er-Jahren Spielplätze entwarf. Ihm fiel auf, dass Kinder sich auf Spielplätzen mit designten Schaukeln und Rutschen langweilten und lieber auf Baustellen in der Nähe spielten. Er baute also einen Spielplatz, der eigentlich eine Baustelle war – komplett mit Sand, Kies, Hämmern und Nägeln. Die Eltern machten sich Sorgen um die Sicherheit, aber die Kinder hatten jede Menge Spaß und bauten die unterschiedlichsten Höhlen und Gebäude. Dieses Experiment zeigte nicht nur, wie man Kreativität bei Kindern fördern kann, sondern auch, wie man sie zum gemeinschaftlichen Arbeiten anregen kann. Auch wurde dadurch gezeigt – und Studien haben dies seither belegt –, dass eine Baustelle ebenso sicher ist wie ein Spielplatz mit speziell für Kinder entwickelten Spielgeräten, denn Kinder können sich an Risiken anpassen.

Oona Horx-Strathern ist seit über 20 Jahren Trendforscherin, Autorin und Rednerin.
Sie schrieb Bücher über die Geschichte der Futurologie und die Architektur der Zukunft. Die gebürtige Irin versteht Architektur als Lebensstil und widmet sich in ihren Studien den Themen Stadtentwicklung und soziodemographischer Wandel. Zudem beschäftigt sie sich mit dem Verhältnis zwischen Emotionen und Technologie. Zusammen mit ihrem Mann, Matthias Horx, führt Oona Horx-Strathern das renommierte „Zukunftsinstitut Horx“.

Jane Jacobs sagte einmal, dass nur ein arroganter Mensch versuchen würde vorauszusagen, auf wie viele unterschiedliche Arten Architektur genutzt werden kann. Eine, die dieser Aussage sicherlich zustimmt, ist die Architektin Amanda Levete, die für ihren Entwurf des MAAT (Museum für Kunst, Architektur und Technik) in Lissabon ein wenig Unordnung mit ins Spiel gebracht hat. Das Dach ist ein schrankenloser Raum der Lebendigkeit, wo Menschen sich aufhalten und den Blick auf den Fluss Tejo genießen, laufen, skateboarden, gemütlich sitzen oder sogar Filme anschauen können. Durch das Design soll reale Interaktion angeregt werden – etwas, das Menschen im Zeitalter der Digitalisierung immer mehr schätzen. Die amerikanische Soziologin Saskia Sassen glaubt, dass sich wahre Intelligenz nicht am Grad der Digitalisierung bemesse, sondern an der Nutzung des Wissens. Eine intelligente Stadt sei, wie Sassen sagt, letzten Endes eine funktionierende Stadt, die nicht durch große technische Investitionen intelligenter werde, sondern durch die Netzwerke von Gemeinschaften, die auf analogem und nicht auf digitalem Weg miteinander kommunizieren.

Der Stadtteil St. Pauli in Hamburg ist das beste Praxisbeispiel für einen solchen neuen, intelligenten Stadtteil. Ein Kollektiv von Künstlern, Städteplanern und Architekten arbeitet daran, die Gegend, die einst durch niedrige Lebensqualität geprägt wurde, neu aufzubauen und zu verbessern. Amanda Levete meint dazu: „Nie war es wichtiger, Wege zu finden, um Menschen zueinander zu bringen. Wir brauchen öffentliche Räume in unseren Städten, (…) Räume, in denen sich Menschen treffen und ihre Gemeinsamkeiten feiern können. Als Bürger haben wir diese öffentlichen Räume vielleicht als selbstverständlich hingenommen, aber jetzt erkennen wir die Bedeutung, die diese wichtigen Teile des urbanen Lebens für uns haben und fordern dazu auf, dass unsere Städte und Einrichtungen sie schützen und ausweiten.“ Und dadurch werden unsere Städte dann letztendlich zu wirklich intelligenten Städten.

Die genannten Stimmen verdeutlichen, dass verschiedene Diskurse darum ringen, wie eine lebenswerte Stadt gedacht werden kann. Daraus leiten sich folgende fünf Thesen für eine intelligente Stadt ab, in der es Wert ist zu leben und zu wohnen.


Die smarte Stadt

Was macht eine Stadt „smart“? Ist es die Menge an neuester Technologie oder ein Reichtum an menschlicher Erfahrung? Der Idee der „Smart City“ hinterherzujagen, heißt, einen Status der „Technoferenz“ zu schaffen, in dem die Verbindung zur Technik die Verbindung zum Menschen überschreibt. Aber es gibt einen dritten Weg, in dem wir Technologie als ein Tool nutzen statt als Ziel, indem wir sie als Diener behandeln und uns ihr nicht unterwerfen.

Die lebendige Stadt

Die besten Städte wurden nach den „drei c‘s“ beschrieben: colossal, chaotic, complex. Das ist die Definition einer lebendigen, „animierten“ Stadt. Sie basiert auf der Erkenntnis, dass alle Versuche, die ideale Stadt zu schaffen, immer eine tote Stadt erzeugen. Eine lebendige Stadt ist in der Lage, sich zu entwickeln, anzupassen und zu reagieren, auf viele Arten von Krisen und auf sich wandelnde demographische und ökonomische Bedürfnisse. Eine lebendige Stadt umarmt die vergessene Kunst des Flanierens - und rekonstruiert den Geist der antiken griechischen AGORA.

Die gesunde Stadt

Eine gesunde Stadt kümmert sich um alle Aspekte der Gesundheit, von der geistigen über die soziale bis hin zur körperlichen Gesundheit ihrer Einwohner. Das kann bedeuten, altersfreundlich zu planen, oder zu gewährleisten, dass jeder einen Park oder Grünraum in fünf Minuten über einen Fuß- oder Radweg erreicht. Die psycho-soziale Gesundheit der Bewohner ist ein guter Indikator für die Fitness einer Stadt. Um Jan Gehl zu zitieren: Wir formen unsere Städte, und sie formen uns.


Die soziale Stadt

Es gibt eine Pandemie der Einsamkeit in unseren hochindividualisierten, alternden, urbanen Gesellschaften. Allein leben – was viele sehr zufrieden tun – macht nicht einsam per se, es ist die soziale Isolation, die dies bewirkt. Bis vor kurzem war Einsamkeit eine Art Tabu, aber gerade das verschärfte das Problem. Sogar Städte mit hoher Lebensqualität weisen Probleme auf, die durch soziale Isolation erzeugt werden. Stadtplaner müssen die ökonomischen und sozialen Implikationen dieses Phänomens verstehen.

Die ökologische Stadt

Um die umweltfreundliche Stadt der Zukunft zu verstehen und zu unterstützen, müssen wir die alte Idee der Ökologie als reine Knappheits- und Schuldkategorie zugunsten eines neo-ökologischen Zugangs hinter uns lassen. Darin enthalten ist die Vorstellung des urbanen Lebens als einer „üppigen“, ökologischen Lebensweise. Im Sinne der „blauen Ökologie“ beinhaltet diese Vorstellung auch die zirkuläre Ökonomie als Nutzung unendlicher Ressourcen, einschließlich Urban Gardening, Urban Farming und aller Elemente des „Regreening“ der Stadt.

Text | Oona Horx-Strathern
Illustrationen | Julian Horx