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Magazin der Schüßler-Plan Gruppe

Ausgabe 16 | 2021 Urbanisierung

Reportage | Alte Kämmerei, Düsseldorf

Neue Nutzungen für die Alte Kämmerei

Um angesichts des anhaltenden Wachstums der Städte den Stadtbewohnern gerecht zu werden, muss nicht nur der Bestand saniert und verdichtet werden, es bedarf auch einer Anpassung an heutige Bedürfnisse. Die unter Denkmalschutz stehende Alte Kämmerei in Düsseldorf wird für eine neue, offenere Nutzungsmischung umgebaut.

Die Alte Kämmerei liegt im Herzen der Düsseldorfer Altstadt und prägt zusammen mit dem historischen Rathaus und dem barocken Jan-Wellem-Reiterdenkmal das Erscheinungsbild des Düsseldorfer Marktplatzes. Vor etwa sechs Jahren haben die städtischen Behörden das Haus verlassen. Zunächst wollte die Stadt Düsseldorf das Gebäude umfassend sanieren, nun wird das einstige Verwaltungsgebäude nach einem Konzept von Art-Invest und slapa oberholz pszczulny | sop architekten sensibel revitalisiert und behutsam für neue Nutzungsformen umgebaut. Neben modernen Büroräumen entstehen Flächen für Gastronomie, Einzelhandel und Event.
„Wir betrachten die alte Bausubstanz nicht als Hindernis, sondern als Potential, das es zu nutzen gilt. Für uns bildet der sensible Umgang mit dem Baudenkmal daher das zentrale Element des Projektes, auf dem unsere Entwurfsidee aufbaut“, so Wolfgang Marcour, geschäftsführender Gesellschafter von sop architekten. Der fünfgeschossige, rund 11.000 m2 umfassende Klinkerbau mit stilisierenden Werksteinelementen wurde von 1952 bis 1956 als geschlossenes Viereck um einen Innenhof errichtet.

Die alte Kämmerei war mehr als sechs Jahrzehnte Sitz der Düsseldorfer Stadtkämmerer. Als aktuelle Stadtkämmerin habe ich die Entscheidungsfindung zur Übergabe des denkmalgeschützten Gebäudes an Art-Invest zur Sanierung und Umnutzung eng begleitet und erwarte die nun anstehende Revitalisierung und Entwicklung zu einem neuen Wirtschaftsstandort im Zentrum der Altstadt mit Spannung und Vorfreude.

Dorothée Schneider, Stadtkämmerin Landeshauptstadt Düsseldorf

Projektdaten

Alte Kämmerei,
Düsseldorf


Fertigstellung

2023


Auftraggeber

Art-Invest Real Estate


Architektur

slapa oberholz pszczulny |
sop architekten


Leistungen Schüßler-Plan

Tragwerksplanung Lph. 1 – 6


Leistungen ICG

(ein Unternehmen der
Schüßler-Plan Gruppe)
Geotechnischer Bericht,
Objekt- und Tragwerksplanung Baugrube, Tragwerksplanung Unterfangungen, Koordination Schurfuntersuchungen im Bestand


Leistung Reducta

(ein Unternehmen der
Schüßler-Plan Gruppe)
Koordinierter Leitungsplan

Nutzungsmischung

Im Zuge der Revitalisierung wird die Alte Kämmerei von außen nur an wenigen Stellen baulich verändert. Auf der dem Marktplatz zugewandten Seite findet der auffälligste Eingriff statt: Sechs Erdgeschossfenster werden zu drei großzügigen Öffnungen zusammengefasst, die bis in das Untergeschoss reichen und Raum für eine offene Gastronomiefläche bieten. Dafür wird die Decke über dem Untergeschoss bis zur Mittelstützenreihe abgebrochen und zum Restaurant ein neuer Eingang mit Treppenanlage hergestellt. Zudem werden die Fensterpfeiler und Brüstungen abgebrochen. Die dafür notwendigen Abfangmaßnahmen finden unauffällig unter der Decke des Erdgeschosses statt. Mit diesen baulichen Veränderungen werden die Nutzungsmöglichkeiten erweitert. Außerdem erhält das Gebäude an seiner prominentesten Gebäudeseite Transparenz und Offenheit.

Eine Passage an der seitlich gelegenen Marktstraße führt zu den neuen Event- und Ausstellungsflächen, die sich flexibel zusammenschalten lassen. Dafür wird die ehemalige Kassenhalle von nachträglich eingesetzten Wänden befreit und wieder als eine Halle mit neuer Glasdachkonstruktion erfahrbar gemacht. Hinter den Arkadenbögen befinden sich einzelne Ganzglas-Fassaden, die die Zugänge zu den Büroflächen markieren. In den Obergeschossen sind Büro- und Co-Working-Konzepte vorgesehen, die dank flexibler Grundrissstruktur variabel bespielbare Flächen zulassen. „Das Gebäude versprüht einen einzigartigen Charme, den man so heute nur noch selten findet. Die vierflügelige Bauweise bietet viel Potenzial und durch die neu entstehenden Nutzungen, vor allem die Gastronomie- und Eventeinheit öffnet sich die Kämmerei nicht nur architektonisch zum Marktplatz, sondern wird auch für die Öffentlichkeit erlebbar“, so Arne Hilbert, Geschäftsführer der Art-Invest Real Estate Management. Im Inneren wird das Haus weitgehend entkernt und auf den Rohbau zurückgebaut. Die Planung dieser Rückbaumaßnahmen erfolgt in enger Abstimmung mit der Denkmalbehörde. Bedeutende Teile der Inneneinrichtung, wie der möblierte Ratssaal, bleiben erhalten.

Ausdehnung

Der Rohbau bietet aufgrund seiner Stahlbetonskelettbauweise mit einer Mittelstützenreihe und einem Längsunterzug viele Grundrissmöglichkeiten. Auf dem Flachdachbereich über der ehemaligen Kassenhalle im Innenhof entstehen Dachterrassen für das erste Obergeschoss. Auch im Dachgeschoss wird die Nutzfläche ausgedehnt: Etwa die Hälfte des Dachstuhls wird zurückgebaut und durch Stahlrahmen ersetzt. Diese erhalten auf der Gebäudeaußenseite eine Ziegeleindeckung, passend zur Bestandsarchitektur; die Seite zum Innenhof wird mit Lamellen geschlossen, die eine freie Belüftung der Haustechnik zulassen. In der anderen Hälfte entstehen unter den historischen Fachwerksparren weitere Büroflächen.

Erschließung

Eine besondere Herausforderung stellt der Einbau einer zeitgemäßen Haustechnik dar. Für die vertikale Erschließung müssen mehrere große Schächte geschaffen werden, zudem wird ein Teil des Kellerbodens für eine Lüftungszentrale abgesenkt. An der Westseite unter der Eingangsterrasse befinden sich weitere Kellerräume, die aufgrund von Wasserschäden neu errichtet werden müssen. Da der neue Kellerraum etwa 3 m tiefer liegt als der Bestand, müssen die Bestandsfundamente unterfangen werden und ein aufwändiger Baugrubenverbau wird benötigt. Schüßler-Plan erbringt in dieser Revitalisierungsmaßnahme umfangreiche Tragwerkplanungsleistungen: Neben dem Entwurf und der Bemessung des neuen Untergeschosses unter der Terrasse bearbeitet Schüßler-Plan unter anderem den Einbau von vier neuen Aufzugsschächten und die Verlängerung von zwei Haupttreppenhäusern bis in das Dachgeschoss.
Mit der Fertigstellung im Jahr 2023 wird sich die Kämmerei zum Düsseldorfer Markplatz hin offener und transparenter zeigen. Dank der neuen Nutzungsmöglichkeiten mit Flächen für Gastronomie, Einzelhandel, Ausstellungen und Events sowie flexiblen Büroflächen wird das umstrittene Denkmal zukunftsfähig. Es wird spannend zu sehen, wie die modernisierte Fassade auf der Marktplatzseite dem historischen Umfeld neuen Glanz verleiht.

Text | Daniel Thimm
Visualisierung, Fotos | Visualisierung Titel, Art-Invest Real Estate; Foto 1, Stadtarchiv Landeshauptstadt Düsseldorf, Knobloch-Bild; Foto 2, Stadtarchiv Landeshauptstadt Düsseldorf, Dolf Siebert