Magazin der Schüßler-Plan Gruppe
Ausgabe 16 | 2021 Urbanisierung
Für die Stadt der Zukunft sind Ansätze zu entwickeln, wie Inklusion über das zweifellos zentrale Thema der Barrierefreiheit hinaus gestaltet werden kann. In den Sustainable Development Goals (Zielen nachhaltiger Entwicklung) der Vereinten Nationen wird der Begriff der Inklusion im Zusammenhang mit Städten in Ziel 11 definiert: „Nachhaltige Städte und Siedlungen – Städte und Siedlungen inklusiv, sicher, widerstandsfähig und nachhaltig gestalten“. Dabei erscheint es sinnvoll, diesen Begriff nicht „nur“ auf Menschen mit Behinderungen anzuwenden, sondern ihn im Kontext von Städtebau und Stadtentwicklung zu erweitern. Denn wäre es nicht wünschenswert, dass Städte so geplant sind, dass alle Menschen in ihnen ein selbstbestimmtes Leben führen können?
Inklusion nimmt ab, wenn Wohnraum in der Stadt immer teurer wird und mehr und mehr Menschen schon allein aus ökonomischen Gründen nicht mehr frei entscheiden können, wo und mit wem sie leben möchten. Steigende Mieten und ein zunehmender Mangel an bezahlbarem Wohnraum sind Themen, die die Mitte der Gesellschaft erreicht haben. Die immobilienwirtschaftliche Aufwertung der Innenstadt, die Verdrängung sozioökonomisch benachteiligter gesellschaftlicher Gruppen an die gefühlten oder geografischen Ränder der Städte sind drängende Themen der Stadtentwicklung. Ziel einer zukunftsfähigen Stadtentwicklungspolitik muss es sein, dass die Innenstädte bezahlbar für alle gesellschaftlichen Gruppen bleiben. Auch in als benachteiligt geltenden Quartieren müssen – durch hervorragende Gesundheits- und Bildungseinrichtungen, gute Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr sowie durch attraktive öffentliche Räume – gute Bedingungen für Teilhabe und Inklusion geschaffen werden.
Ein zentrales Thema der nachhaltigen Stadt der Zukunft ist die Mobilität. Der Verkehrssektor verursacht ein Fünftel der deutschen CO2-Gesamtemissionen, und um das Pariser Klimaschutzabkommen umzusetzen, sind hier deutliche Einschnitte unumgänglich. Um in diesem Bereich einen wirklichen Wandel einzuleiten, muss die Dekarbonisierung des Verkehrs als Chance mit vielen positiven Nebeneffekten begriffen werden: bessere Luft, weniger Lärm, mehr Sicherheit und attraktivere öffentliche Räume.
Öffentliche Räume und Straßenräume sollten so gestaltet sein, dass Mobilität ohne Auto bequem, sicher und attraktiv ist. Schon jetzt ist klar, dass die Städte, die sich der nachhaltigen Mobilität verschrieben haben, profitieren und mit einer hohen Lebensqualität punkten können – etwa Kopenhagen und Bern.
Der Umbau von großen Verkehrsflächen und autogerechten städtebaulichen Strukturen ist eine komplexe Aufgabe, die viel Experimentierfreude und maßgeschneiderte Ideen für die unterschiedlichsten Situationen erfordert. Angesichts zunehmender Flächenkonkurrenzen in den wachsenden Städten wird es immer absurder erscheinen, große Teile des öffentlichen Raumes einzig der Funktion des fließenden und ruhenden Individualverkehrs zu überlassen. Durch eine neue Balance des Verkehrs zugunsten von Fußgängern und Radfahrerinnen sowie des öffentlichen Nahverkehrs können große Flächenpotenziale freigesetzt werden, die anders genutzt werden können – als zusätzliche Flächen für den Radverkehr, als öffentliche Räume, aber auch für die bauliche Bestandsentwicklung.
Diese Umgestaltung betrifft auch auto-orientierte städtebauliche Strukturen wie Fachmarktzentren mit großen Parkplätzen, Drive-Ins oder Einfamilienhausgebiete. Außerhalb der Stadtzentren sollten vor allem die Haltepunkte des leistungsfähigen öffentlichen Nahverkehrs in den Blick genommen werden. Zukünftig sollten mehr Menschen in ihrem direkten Umkreis leben und arbeiten können. Dazu müssen Möglichkeiten zur baulichen Verdichtung geprüft werden. Eine derartige Nachverdichtung kann die städtebauliche Qualität der Quartiere stärken, indem gestalterische Defizite behoben und die Nutzungs- und Bewohnerdichte erhöht werden. So wird gleichzeitig eine kritische Masse von Nutzern für Einzelhandel und Gastronomie und für andere Infrastrukturen wie Mobilitätsstationen erzielt. Diese Quartiere können somit kompakter und nachhaltiger werden.
Um die vielfältigen Transformationsprozesse zu steuern und proaktiv zu gestalten, braucht es selbstbewusste Verwaltungen. Nur mit Mut und kreativen Ideen wird es gelingen, etwa auf dem Immobilienmarkt oder im Bereich der Digitalisierung gemeinwohlorientiert zu handeln. Dafür muss die Verwaltung personell gut aufgestellt sein, um differenziert agieren zu können und mit guten Konzepten die Interessen der Stadt zu vertreten. Den Mitarbeiter*innen der Verwaltung muss es gelingen, als Change Manager zu wirken und die Weichen für notwendige Transformationen bewusst zu stellen. Hierfür ist es sicher notwendig, Arbeits- und Entscheidungsstrukturen anders zu gestalten und an die Erfordernisse einer integrierten Planung anzupassen.
Oft ist es nicht die öffentliche Hand allein, die das schaffen kann. Entwickelt haben sich neue spannende Modelle von Kollaboration und Kooperation in vielfältigen Akteurskonstellationen. Gerade komplexe Transformationsprozesse wie die postfossile Verkehrswende funktionieren nur, wenn sie mit Hilfe der Zivilgesellschaft bewältigt werden können. Mit 1:1-Tests, also dem temporären Austesten von Ideen zur Verkehrsberuhigung, oder der Umverteilung von Verkehrsflächen lassen sich Debatten um die Verkehrswende ganz konkret machen und auch emotional wahrnehmen. Diese Wahrnehmung der Veränderung ist für die Akzeptanz des Wandels oft wichtiger, als wenn sich die Menschen in einer Bürgerbeteiligungsveranstaltung nur einen Plan anschauen.
Deutlich wird auch, dass die Anforderungen an Planungsprozesse in diesem komplexen Spektrum von Interessen und Geflecht von Akteuren immer anspruchsvoller werden. Planungsprozesse müssen so gestaltet werden, dass Beteiligung mit der notwendigen politischen Abstimmung und der fachlichen Arbeit der Planer zusammengebracht und synchronisiert wird. Gut durchdachte und mit entsprechenden Ressourcen ausgestattete Planungsprozesse sind eine wichtige Voraussetzung dafür, um bei komplexen Projekten den unterschiedlichen Akteuren Handlungsspielräume einzuräumen, öffentliche Bedarfe zu berücksichtigen und zu erreichen, dass Planung und Prozess flexibel an sich ändernde Rahmenbedingungen angepasst werden können.