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Magazin der Schüßler-Plan Gruppe

Ausgabe 17 | 2021 Mobilität

Artikel | Weert Canzler

Mobilität im 21. Jahrhundert: den öffentlichen Raum neu aufteilen!

Mobilität der Zukunft wird von drei Megatrends stark beeinflusst: von der Urbanisierung, der Reaktion auf die Klimakrise und der Digitalisierung. Eine doppelte Mobilitätswende von sowohl Antriebswende als auch Alternativen zum Auto kommt. Sie bedeutet letztlich weniger Autos.

Weert Canzler leitet die Forschungsgruppe „Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung“, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. 

Wir sind alle mobil. Einige mehr, andere weniger. Wie wir uns künftig bewegen, ist zwar eine offene Frage. Allerdings sind wir in den Weichenstellungen für die Mobilität von morgen in Pfadabhängigkeiten gefangen. Dazu gehören technische und infrastrukturelle Entscheidungen von gestern, aber ebenso Gewohnheiten und die wenig bewussten Ergebnisse einer frühen Mobilitätssozialisation. Auch in unserer Phantasie sind wir eingeschränkt. Es fällt uns schwer, uns vorzustellen, dass Kinder auf der Straße Fußball spielen. Gleichzeitig wissen wir, dass es ein „Weiter-So“ in der Mobilität nicht geben kann. Weil die Städte wachsen und global betrachtet der Drang vom Land in die Stadt ungebrochen ist, geht es künftig vor allem darum, wie ein funktionierender urbaner Verkehr gewährleistet werden kann. Eine effiziente Nutzung des knappen Raumes ist dafür entscheidend. Die Klimakrise ist nur zu bewältigen, wenn schnell weniger Treibhausgase in die Atmosphäre geblasen werden. Die Dekarbonisierung ist die große Transformationsaufgabe. 

Dazu muss der Verkehrssektor, der noch fast ausschließlich auf fossilen Energien beruht, seinen Beitrag leisten. Da ist er gewaltig im Verzug. In den letzten 30 Jahren hat es mit Blick auf die CO2-Emissionen im Verkehr keinerlei Fortschritt gegeben. Die Öl- (und auch die Gas-)Vorräte dürfen nicht weiter verbrannt werden, um Menschen oder Waren von A nach B zu bringen. Zugleich müssen die Städte resilient gegenüber den zunehmenden Extremwetterereignissen werden. Da braucht es mehr Grün und mehr Entsiegelung. Gleichzeitig bietet die Digitalisierung Chancen, den Verkehr besser zu organisieren. Digital vernetzt lassen sich verschiedene Verkehrsmittel kombinieren und damit effizienter nutzen. Geteilte Mobilität wird attraktiv, wo mit dem Smartphone ein schneller und zuverlässiger Zugang selbstverständlich ist. Das passiert jedoch nicht automatisch. Ohne eine klare Regulierung, die offene Daten vorschreibt und ökologisch unsinnige Geschäftsmodelle wie die Parallelanlieferung konkurrierender Lieferdienste auf der Basis von Niedriglöhnen und Zweite-Reihe-Parken unterbindet, wird es nicht klappen.

Doppelte Mobilitätswende

Die Lösung auf die Herausforderungen der Megatrends für die Mobilität von morgen liegt auf dem Tisch: Es ist eine doppelte Mobilitätswende. Zum einen bedarf es einer schnellen Antriebswende. Die Technik macht den Unterschied in der Effizienz. Beim Pkw und offenbar auch beim Lkw ist der direkte elektrische Antrieb das Mittel der Wahl. Batterieelektrisch angetriebene Fahrzeuge haben wesentlich bessere Wirkungsgrade als etwa Fahrzeuge, die mit Wasserstoff und einer Brennstoffzelle oder gar mit elektrisch hergestellten synthetischen Kraftstoffen und einem Verbrennungsmotor angetrieben werden. Wasserstoff und Synfuels werden vielmehr dort gebraucht, wo der Einsatz von Batterien keinen Sinn macht – in der Luftfahrt und in der Überseeschifffahrt. Nur wenn der Strom aus Erneuerbaren Energien stammt, kann die angestrebte Dekarbonisierung gelingen. Ein sparsamer Umgang mit den Grünen Energien ist daher nicht nur ethisch geboten, sondern auch ökonomisch notwendig.

Zum anderen verlangt die Mobilitätswende attraktive Alternativen zum Auto. Eine gute Bahninfrastruktur und Radschnellwege sind die Voraussetzung, aber auch – künftig mit Autonomen Shuttles realisierte – Mobility on Demand-Angebote und das Recht auf Homeoffice sowie die besten Programme für Videokonferenzen, um aufwändige Dienstreisen für Routinetreffen zu ersetzen. Einiges davon ist in der Corona-Pandemie vorangekommen. Doch ohne einen Abbau der Privilegien des Autos bleibt alles Flickwerk. Da ist neben dem Dienstwagenwesen und der Entfernungspauschale vor allem das Privileg, das Private überall im öffentlichen Raum abstellen zu können, wo es nicht verboten ist. „Gemeingebrauch der Straße“ heißt das im Verkehrsrecht. Dieser Gemeingebrauch für das Auto ist ein einmaliges Privileg. Mein Sofa darf ich nicht im öffentlichen Raum abstellen.

Es geht nur mit weniger Autos

Schauen wir nur mal auf die Bundesrepublik Deutschland: Knapp 83 Millionen Einwohner verfügen über 48 Millionen Pkw. Es können alle gleichzeitig auf den Vordersitzen Platz nehmen, niemand muss hinten sitzen. Im Durchschnitt stehen private Pkw 23 Stunden am Tag nur herum und benötigen dafür eine Fläche von jeweils 12 Quadratmetern. Das ist schlichtweg zu viel des Guten. Es ist keine normative Frage, sondern vielmehr eine Frage der Flächennutzung und Ressourcenallokation. Mehr Flächengerechtigkeit in den Städten gibt es nur mit weniger Autos. Einen nachhaltigen Ressourceneinsatz und auch eine leistbare Versorgung der künftigen E-Autos mit Erneuerbarem Strom gibt es ebenfalls nur mit weniger Fahrzeugen.

Bisher gibt es keinen Konsens darüber, dass die Mobilität der Zukunft weniger Autos bedeutet. Die Illusion ist verbreitet, dass eine Elektrifizierung des Antriebs für eine nachhaltige Mobilität schon ausreiche. Die Stau- und Effizienzprobleme sollen dann mit den nächsten Stufen des Automatisierten Fahrens gelöst werden. Diese Illusion wird immer wieder genährt, wie im Herbst 2021 auf der IAA in München. Nimmt man die Ziele des Klimaschutzes und der Flächengerechtigkeit ernst, führt kein Weg daran vorbei, den Platz für den Verkehr und damit eines wichtigen Teils des öffentlichen Raumes neu aufzuteilen. Dieser Weg ist konfliktreich, denn es werden Privilegien abgebaut. Niemand lässt sich seine Privilegien einfach so nehmen. Die Abwehrargumente sind bekannt: Der Einzelhandel reagiert auf den Rückbau von öffentlichen Parkplätzen und Einfahrtbeschränkungen reflexhaft. Das bedeute den Ruin, weil die automobilen Kunden fernblieben. Gern wird die sozialpolitische Karte gezogen, wenn es darum geht, die Parkraumbewirtschaftung und City-Maut als ungerecht zu brandmarken.

Auf alle diese Einwände gibt es empirisch unterlegte Antworten: In vielen Städten mit Einschränkungen für den Autoverkehr hat gerade der Einzelhandel profitiert. Ein guter Öffentlicher Verkehr kommt in erster Linie den Einkommensschwachen zugute. Dabei fühlen sich Junge und Alte sicherer, wenn die Gehwege breit sind und es geschützte Radwege gibt. Diese Argumente in die Debatte einzubringen und den Druck derjenigen auszuhalten, die ihre Privilegien schwinden sehen, setzt jedoch Mut und politischen Willen voraus. In einigen europäischen Städten wie Paris, Helsinki, Wien oder Mailand gibt es diesen Willen. Und dort sehen wir im Übrigen auch schon die Konturen der künftigen urbanen Mobilität: eine höhere Aufenthaltsqualität, weniger Lärm, mehr aktive Mobilität, aber auch weniger Unfälle und hier und dort Kinder, die auf der Straße Fußball spielen.

Text / Weert Canzler
Illustrationen / Nicolas Bascop