18

Magazin der Schüßler-Plan Gruppe

Ausgabe 18 | 2022 CO2

Wege zur emissionsarmen Bauwirtschaft

Bauen im Bestand & Energetische Sanierung

Wir leben auf zu großem Fuß. Klimawandel, Biodiversitätsverlust, Rohstoffknappheit: Unser lineares, nach dem Durchflussprinzip konzipiertes Wirtschaftssystem befindet sich auf Kollisionskurs mit den Belastungsgrenzen unseres Planeten. Es muss gelingen, ökologische, wirtschaftliche und soziale Agenden im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung zusammenzuführen. Nur so können wir neue, innovative Wege für Produktion und Verbrauch in der Bauwirtschaft schaffen. Der effiziente Umgang mit Bestandsbauwerken ist hierbei ein zentraler Faktor. 

Klimaschutz steckt auch in alten Mauern. Auf dem Weg zum ökologischen Bausektor reicht es nicht, einzig den Energieverbrauch von Gebäuden während ihrer Nutzungsphase zu betrachten, wie es häufig bei Förderprogrammen, etwa der staatlichen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), getan wird. Auch die CO2-Emissionen und die Energie, die beim Bau von Gebäuden entstehen, fallen in der Klimabilanz der Baubranche ins Gewicht. Denn diese „grauen Emissionen“, die bei der Herstellung von Baumaterialien und Bauwerken entstehen, sind ebenso hoch wie die CO2-Emissionen, die ein Gebäude im Schnitt in 50 Jahren durch Heizen, Kühlen und Stromversorgung freisetzt.

Bei der Weiter- oder Umnutzung von Bestandsgebäuden werden dagegen die in den Baustoffen gebundene Primärenergie und deren Emissionen eingespart und so weniger Rohstoffe verbraucht. Immerhin kommen laut Statistischem Bundesamt fast 60 Prozent des Abfalls in Deutschland aus dem Bausektor. Nur sieben Prozent davon werden in neuen Gebäuden wiederverwendet, der große Rest landet auf Deponien. Angesichts der Endlichkeit vieler Ressourcen ist das ein Problem, das unabhängig von Energie- und CO2-Verbrauch beim Bauen besteht.

Um die Treibhausgasemissionen im Gebäudesektor dauerhaft zu senken, müssen aber auch die Bestandsimmobilien hinsichtlich ihres Energiebedarfs optimiert werden. Neubauten verbrauchen im Schnitt etwa 100 kWh Heizenergie pro Quadratmeter und Jahr. Mit einer Vollsanierung kann der Heizenergiebedarf von Altbauten auf durchschnittlich 130 kWh/m² gesenkt werden. Da aber bisher lediglich vier Prozent der Wohngebäude vollsaniert sind, besteht hier ein immenses Energieeinsparpotenzial. Wir sollten also unseren Fokus beim Bauen mehr auf den Bestand legen.

Schokoladenfabrik zu Büro: Wissoll-Campus

CO2-Emissionen KfW55
über 50 Jahre, Quelle: Schüßler-Plan / Lukas Felber

Anfang des 20. Jahrhunderts ließ die Tengelmann-Handelskette in Mülheim an der Ruhr eine Schokoladenfabrik bauen. Nach Plänen des Duisburger Bauingenieurs Carl Ringe wurde der Altbau der Fabrik 1912 fertiggestellt, in den das Unternehmen mit seiner Hauptverwaltung in den 1950er Jahren einzog. Nach etlichen Um- und Anbauten der Häuser verließ die Tengelmann-Zentrale 2019 den Campus und das Gelände wurde nur ein Jahr später durch den Immobilienkonzern SORAVIA erworben. Unter dem Namen „Parkstadt Mülheim“ entwickelt SORAVIA hier nun ein neues Stadtquartier für Gewerbe, Wohnen, Handel und Kultur. Die 65.000 Quadratmeter Bestandsflächen für Gewerbenutzungen werden um 100.000 Quadratmeter Wohnungsneubau ergänzt.

Die Architekt*innen von StudioVlayStreeruwitz gewannen 2021 zusammen mit den Landschaftsplaner*innen von PlanSinn den Wettbewerb für die Neuentwicklung des Gebiets, die bis 2027 abgeschlossen sein soll. Die Sanierung und Umbauplanung der Bestandsbauten übernimmt RKW Architektur + als Generalplaner zusammen mit Schüßler-Plan. 

„Hier zeigt sich, wie nachhaltig und vorausschauend 1912 schon gebaut wurde und wie wichtig eine gute Tragwerksplanung ist“, erläutert Jürgen Schmitz, Projektleiter der Tragwerksplanung für den Wissoll-Campus bei Schüßler-Plan. „Die Ingenieure haben damals ein statisches System gewählt, mit Umlagerungsmöglichkeiten aus Durchlaufwirkungen innerhalb des Tragsystems, ohne tragende Wände und mit hohen Nutzlastreserven. So konnte es jederzeit flexibel erweitert oder umgenutzt werden“. Das Tragsystem besteht hauptsächlich aus einem regelmäßigen Stützenraster von 5,4 x 5,4 Metern in Stahlbetonskelett-Bauweise. Auf den tragenden Stützen liegen Unterzüge mit kreuzweise gespannten Decken. Für die Maschinen der Süßwarenproduktion wurden Nutzlasten zwischen 5 bis 20 kN/m² angesetzt. Das ist mehr als ausreichend für die neue büroähnliche Nutzung.

Die ersten Mieter*innen sind schon eingezogen. Sie erwartet eine Arbeitsumgebung, die die Geschichte des Ortes zeigt. Neben den historischen und neuen Gebäuden wird zudem eine weitläufige Parkanlage das Stadtquartier durch Aufenthaltsbereiche im Außenraum vervollständigen. 

Text / Ina Lülfsmann
Visualisierung und Foto / Titelbild, StudioVlayStreeruwitz/SchreinerKastler; Foto, Schüßler-Plan