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Magazin der Schüßler-Plan Gruppe

Ausgabe 18 | 2022 CO2

Wege zur emissionsarmen Bauwirtschaft

Digitale Planungsmethoden

Wir leben auf zu großem Fuß. Klimawandel, Biodiversitätsverlust, Rohstoffknappheit: Unser lineares, nach dem Durchflussprinzip konzipiertes Wirtschaftssystem befindet sich auf Kollisionskurs mit den Belastungsgrenzen unseres Planeten. Es muss gelingen, ökologische, wirtschaftliche und soziale Agenden im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung zusammenzuführen. Nur so können wir neue, innovative Wege für Produktion und Verbrauch in der Bauwirtschaft schaffen. Digitale Planungsmethoden wie 7D-BIM oder parametrisches Design sind hierbei ein zentraler Faktor.

Nachhaltigkeit sollte bei der Realisierung von Projekten frühestmöglich beachtet werden: ökologische Aspekte wie CO2-Neutralität, ökonomische Aspekte wie Energie- und Kosteneffizienz, soziale Aspekte wie der thermische Komfort für Nutzer. Die BIM-Methode bietet hierfür eine gute Hilfestellung. Denn neben den bereits bekannten 3D für die dreidimensionale Geometrie, 4D für die Zeit und 5D für die Kosten, etablieren sich in der Fachwelt zunehmend weitere Dimensionen: 6D für die Nachhaltigkeit sowie 7D für das Facility-Management. Die genannten Dimensionen bedeuten zu Projektbeginn zwar einen Mehraufwand, dieser relativiert sich aber mit zunehmender Leistungsphase. Gerade für 6D gilt: Je früher diese Dimension in die Planung einfließt, umso effizienter ist es für den Fortgang des Projekts.

6D-BIM kommt immer häufiger zum Einsatz, auch weil klimagerechtes, auf lokale Bedürfnisse zugeschnittenes Bauen vermehrt Beachtung findet. Beispiele sind Zertifizierungssysteme wie LEED, BREEAM, DGNB und das Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen des Bundes sowie die ESG-Kriterien (Environmental Social Governance) für die Evaluierung nachhaltiger Investments. Durch 6D-BIM fließen Sonnen- und Schattenstudien ebenso in die Planung ein wie Energie- und Windsimulationen oder Verkehrsanalysen. Auch für die Bemessung und Nachweisführung im Rahmen der Ökobilanzierung besitzt die Anwendung großes Potenzial: Geometriedaten, Bauteilausrichtung und Bauteileigenschaften können aus dem BIM-Modell exportiert und in die Bilanzierungsprogramme integriert werden. Dies minimiert Fehlerquellen und spart Zeit. In der praktischen Anwendung zeigt sich immer mehr, dass Nachhaltigkeit und somit die Anwendung der sechsten BIM-Dimension keine Zusatzanforderung an den Gebäudeentwurf mehr ist, sondern sich als eine der wesentlichen Beschaffenheitsanforderungen etablieren wird.

Die TU Dortmund und Schüßler-Plan konnten in ihrer gemeinsamen Studie nachweisen, dass eine parametrische Tragwerksplanung unter Verwendung visueller Programmierungsmethoden in der Softwareumgebung von Grasshopper ein umfassendes Anwendungspotenzial besitzt.
Optimierung der Entwurfsphase durch parametrische Tragwerksplanung

Trotz des Stufenplans „Digitales Planen und Bauen“ des BMVI stehen digitale Planungsmethoden im Ingenieurbau aufgrund ihrer Komplexität im Vergleich zum Hochbau noch am Anfang ihrer Entwicklung. Im Rahmen der Vorplanungsphase des Ersatzneubaus der Talbrücke Bremecke konnte gezeigt werden, dass eine ganzheitliche digitale Planung einer im Grundriss gekrümmten Talbrücke durchaus realisierbar ist und viele Vorteile mit sich bringt. Die im Jahr 1970 fertiggestellte 11-feldrige Spannbetonbrücke erfordert aufgrund ihres Zustandes der Note 3,5 in den nächsten Jahren einen Neubau mit zwei getrennten Überbauten.

Die individuell erzeugten, (voll-)automatischen Workflows zwischen Entwurfs-, BIM- und Finite-Elemente-Modell (Softwareprogramme Grasshopper, Revit und SOFiSTiK) ermöglichen schnelle, umfangreiche und fehlerresistente Varianten- und Parameterstudien von komplexen Tragwerken sowie Optimierungen in der frühen Planungsphase von Ingenieurbauten. Konventionelle Methoden würden hierbei schnell an ihre Grenzen stoßen. Die Stärken der visuellen Programmierung mit Grasshopper liegen vor allem in der einfachen Erfassung, Erzeugung, Parametrisierung, Automatisierung und Analyse von komplexen Geometrien, zum Beispiel Brückenachsen und zugehörigen Querschnitten. Weitere interessante Möglichkeiten eröffnen sich mit der Einbindung von evolutionären Algorithmen in diesen Entwurfsprozess, wodurch sich unter anderem der Materialeinsatz reduzieren lässt. Nach Anpassung der Parameter ist ein entwickeltes Modell für vergleichbare Projektanforderungen zukünftig wiederverwendbar.

Text / Dr. Vladimir Jovanovi und Fabio Baniseth
Foto / Titelfoto und Grafik, Schüßler-Plan