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Magazin der Schüßler-Plan Gruppe

Ausgabe 21 | 2023 Das Schüßler-Plan Prinzip

Interview l Künstliche Intelligenz

Künstliche Intelligenz: Eine Revolution der Arbeitswelt?

Maschinen ändern die Arbeit. Der Einsatz von KI ist in vielen Bereichen der Wirtschaft und Gesellschaft schon Realität, auch in der Baubranche. Die KI-Expert*innen Marie-Christine Fregin und Michael Stops berichten von Chancen und Risiken von KI für die Arbeitswelt.

Dr. Marie-Christine Fregin
ist Research Leader am Research Centre for Education and the Labour Market (ROA) der Universität Maastricht. Sie forscht zu den Auswirkungen Künstlicher Intelligenz auf Arbeit und Beschäftigte in ko-kreativen Projekten und gemeinsam mit Partnern aus der Industrie. Sie leitet das Forschungsprojekt „ai:conomics“.
Was ist künstliche Intelligenz?

Marie-Christine Fregin: Künstliche Intelligenz ist ein unspezifischer Begriff. Er entstand aus der Idee, dass es möglich ist, Computer und Maschinen so zu programmieren, dass sie die Fähigkeit des menschlichen Gehirns nachahmen, Probleme zu lösen und Entscheidungen zu treffen. Aus einer technischen Perspektive lassen sich gegenwärtig unter Kl all jene Algorithmen fassen, die Muster in unstrukturierten Daten erkennen und systematisch für unterschiedliche Zwecke aufbereiten. So steuern diese Algorithmen Maschinen oder sie formulieren Entscheidungsvorschläge auf der Grundlage der Daten, die sie verarbeiten. Zuvor werden die Algorithmen mit sogenannten annotierten Trainingsdaten entweder manuell oder auf eine andere Art und Weise angelernt und häufig auch während ihrer Anwendung weiter angelernt. Die Ergebnisse, zu denen die Algorithmen kommen, sind dabei probabilistischer Natur.

…Probabilistischer Natur heißt?...  

Fregin: Das heißt, dass die KI beispielsweise eine bestimmte Handlung deshalb empfiehlt, weil diese, gemessen an einer bestimmten Metrik auf Grundlage der Trainingsdaten, den höchsten Erfolg verspricht. Solche Algorithmen entwickeln dennoch, so komplex sie auch sein mögen, keinerlei Bewusstsein, dass mit dem menschlichen Geist annähernd vergleichbar ist.

Dr. Michael Stops
ist Senior Researcher am Institut für Arbeits- markt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg. Er forscht unter anderem zu den Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz auf den Arbeitsmarkt im Rahmen des Projektes „ai:conomics“ in Kooperation mit der Universität Maastricht.
Inwieweit kann KI Jobs in der Wissensarbeit ersetzen?

Michael Stops: KI-basierte Maschinen können heute schon Aufgaben übernehmen, die bisher dem Menschen vorbehalten waren. Dabei übertreffen sie bestimmte menschliche Fähigkeiten. Im Gegensatz zu älteren softwarebasierten Systemen gilt dies insbesondere für kognitive Tätigkeiten. Da Wissensarbeit aus überwiegend kognitiven Verrichtungen besteht, ist es daher in der Zukunft möglich, dass KI-Systeme disruptive Effekte für die Beschäftigtenstruktur haben und insbesondere auch in der Wissensarbeit.

Wissensarbeit ist aber auch durch einen gewissen Handlungsspielraum gekennzeichnet.

Stops: Wissensarbeiter*innen haben gewisse Freiheitsgrade, wie sie auf das verarbeitete Wissen reagieren. Denken wir beispielsweise an Übersetzungen von Texten. Möglicherweise ist er bei journalistischen Tätigkeiten größer als bei einem fachbezogenen Gutachter. Da die Kl Handlungsentscheidungen treffen soll, ist zu erwarten, dass dies umso besser gelingt, je enger der Entscheidungsspielraum ist. KI kann je nach Anwendung die bisher zu verrichtenden Tätigkeiten flankieren, verändern, oder ihren Umfang und damit die Beschäftigung in einem bestimmten Job verringern. 

KI wird also nicht komplette Jobs ersetzen?

Fregin: Wir erwarten, dass das eher selten der Fall sein wird. KI-Systeme, die heute bereits in Unternehmen im Einsatz sind, sind auf ausgewählte Aufgabenbereiche und hochspezialisierte Anwendungen beschränkt. Bei der Frage nach dem maschinellen Ersatz menschlicher Arbeit muss man unterscheiden, ob die Kl Teile der bestehenden menschlichen Tätigkeiten imitieren oder das Produktportfolio im Betrieb erweitern soll. Ersteres zielt auf Prozessoptimierungen ab. Letzteres kann dazu führen, dass ein Produkt angeboten wird, das es in dieser Form vorher nicht gab. In diesem Fall ergänzt KI das bestehende Tätigkeitsspektrum und schafft damit eher neue Jobs.

Wo liegen die Vorteile von KI wie ChatGPT für die Arbeitswelt?

Fregin: KI kann dabei unterstützen, eine große Menge an Informationen mit unterschiedlichsten Kontexten in hoher Geschwindigkeit zusammenzustellen, und damit eine enorme Bereicherung darstellen. Heutige KI-Systeme sind in der Regel auf Spezialaufgaben trainiert. ChatGPT ist eindrucksvoll, da es auf nahezu jede allgemeine Frage in vielen Themenfeldern und Sprachen gut formulierte Antworten generieren kann. Darüber hinaus kann es mathematische Aufgaben lösen oder Programmcodes erzeugen. Die umfassende Funktionalität erlaubt die Annahme, dass bestimmte Jobs mit ähnlichen Aufgabenmustern künftig weitgehend übernommen werden könnten, beispielsweise die Arbeit von Call Center-Agenten.

Und worin sehen Sie Nachteile?

Stops: Sobald Informationen ausgegeben werden sollen, die rechtssicher, fachlich korrekt oder aktuell sein müssen, stößt die KI an Grenzen. Denn dann müssen die generierten Informationen überprüft werden. Die KI-Technologie muss immer mit den neuesten, von Wissensarbeiter*innen formulierten Informationen trainiert werden. Inhaltlich gibt es noch ein Dilemma: ChatGPT basiert auf im Web verfügbaren Textdaten und bezieht sich damit auf allgemein verfügbares Wissen. Je spezifischer der Wissensbedarf oder der Kontext der Fragestellung ist, desto unwahrscheinlicher ist die Erzeugung einer validen Antwort. Dies ließe sich eventuell verbessern, indem die Sprachmodelle mit betriebs- oder personenbezogenen Daten angereichert werden, jedoch muss die Datenweitergabe auch im Interesse der Betriebe beziehungsweise der Individuen liegen.

Wo wird KI heute schon in der Wirtschaft eingesetzt?

Fregin: Kl, die Texte oder Bilder verarbeitet, hat Marktreife erlangt und kommt in verschiedensten Bereichen zum Einsatz. Kl ermöglicht beispielsweise eine automatische Prozessabwicklung bei Versicherungen, wobei der Dateninput sowohl Fließtext als auch Schadensbilder umfassen kann. Bildbasierte KI-Anwendungen spielen zudem in der Produktion eine immer größere Rolle, zum Beispiel in der Qualitätsprüfung und visuellen Inspektion von Fertigungsteilen. Ebenso kann KI Bilder im Gesundheitsbereich schon recht zuverlässig analysieren und Krankheiten erkennen. Im Logistikbereich hilft KI, Verkehrs- und Transportsysteme sowie Lieferketten zu optimieren oder Mobilität nachhaltiger zu gestalten. Ebenso spielt KI beim selbstgesteuerten Fahren eine wichtige Rolle. Ein weiter zunehmender Einsatz von Kl ist zu erwarten im Journalismus, in juristischen Bereichen, in der Architektur, im Bildungsbereich, in der Management-Beratung... Zunehmend spielt KI-generierter Input auch in kreativen, künstlerischen Prozessen sowie in der Werbung eine Rolle. 

Welche Rolle spielt KI in den technischen Berufen?

Stops: Gerade in den technischen Berufen müssen die fachlichen Kenntnisse häufiger aktualisiert werden als in anderen Berufen. Lebensbegleitendes Lernen, also die regelmäßige Anpassung der Fertigkeiten und Kenntnisse, kann den Beschäftigten dauerhafte, hochwertige Beschäftigungsperspektiven sichern.

Beobachten Sie auch in der Baubranche eine Veränderung?

Stops: Für die Baubranche beobachten wir ebenfalls Aktivitäten, Anwendungsmöglichkeiten für KI zu finden. Erste Anwendungen setzen dabei an der Verarbeitung von Daten zu Bauplänen, zu Baumaterialien sowie zu Umweltbedingungen. Hierzu wird gerade intensiv und stark vernetzt geforscht, zum Beispiel beim Fraunhofer-Institut für Software- und Systemtechnik (ISST). Es wird auch diskutiert, inwiefern KI wichtige flankierende Aufgaben in der Baubranche unterstützt. So sind KI-Anwendungen denkbar, die durch kameraerfasste Bilder potenzielle Sicherheitsrisiken und Qualitätsprobleme auf der Baustelle identifizieren. Dadurch kann zeitiger eingegriffen und somit die Sicherheit auf der Baustelle erhöht werden. Überlegt wird auch, inwiefern äußerst gefährliche Arbeiten mit der neuen Technologie automatisiert werden könnten.

Fregin: Drohnen oder 3-D-Betondrucker, also Maschinen, die bestimmte Verrichtungen übernehmen, sind bereits vereinzelt im Einsatz. Derzeit müssen sie aber stetig oder zumindest zeitweise bedient werden. Auch im Straßenbau gibt es Ansätze, intelligente Baustellen und Bauprozessteuerungen zusammen mit autonomen Baumaschinen zu entwickeln. Außerdem gibt es Ansätze für die Weiterentwicklung von Robotern; diese finden derzeit aber eher Anwendung bei Baustellenbegehungen, Messarbeiten und die zugehörige Datenverarbeitung. Schließlich wird zurzeit dazu gearbeitet, inwiefern KI-Anwendungen dazu beitragen können, den Energieverbrauch und die Ressourcennutzung auf der Baustelle zu optimieren. Dabei geht es zum einen um die Echtzeit-Steuerung der Bauprozesse und zum anderen aber auch um das Erstellen von digitalen Nachhaltigkeits-Berichten.

Wie verändert Kl die Aufgaben und Qualifikationsprofile von Arbeitsplätzen?

Fregin: KI muss erst einmal implementiert werden. Nicht selten müssen die hierfür notwendigen großen Datenmengen zunächst generiert, aufbereitet oder geprüft werden. Hierfür müssen oftmals in großem Umfang Menschen tätig werden, bevor überhaupt mit dem Training von Algorithmen begonnen werden kann. Hinzu kommt, dass die Hardware, die von der KI gesteuert wird, gewartet und häufig auch weiter optimiert werden muss. So werden neue Aufgaben generiert.

Wird der Einsatz von KI unter Mitarbeiter*innen eher als Hilfe oder Bedrohung angenommen?

Fregin: Wenn der Zeitgewinn genutzt werden kann, um komplexere Sachverhalte besser bearbeiten zu können, wird die Entlastung eher als Hilfe wahrgenommen. Das gelingt insbesondere, wenn Beschäftigte in die Implementierung der KI eingebunden und für die Zusammenarbeit mit KI qualifiziert sind. Denn ein Gefühl der Bedrohung kann auch immer aufkommen, obwohl der Arbeitsplatz gar nicht bedroht ist, wenn die Beschäftigten darüber nicht ausreichend informiert sind.

Welche besonderen Kompetenzen braucht es, um die Vorteile von KI voll ausschöpfen zu können? Inwieweit werden Arbeitnehmer*innen, die diese beherrschen, einen Vorteil auf dem Arbeitsmarkt haben?

Stops: Um die Beschäftigungsfähigkeit von Arbeitnehmer*innen in Jobs, die durch den KI-Einsatz verändert werden, zu sichern, gilt es, Kompetenzen zu stärken, die eher nicht durch KI betroffen sind. Dies gilt zum Beispiel für emotionale Intelligenz: Kl kann Emotionen in Texten analysieren und grob klassifizieren. Emotionen fühlen und interpretieren kann sie jedoch nicht. Auch kritisches Denken, Kreativität, Entscheidungsfindung in komplexen oder unsicheren Situationen, Verhandeln und kognitive Flexibilität sind Kompetenzen, die die Beschäftigungsfähigkeit des Menschen stärken.

Interview / Marie Bruun Yde
Fotos / Titelfoto, Theodor Barth; Portrait, Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung