Magazin der Schüßler-Plan Gruppe
Ausgabe 23 | 2024 Mut
Frau Schnellenbach-Held, Sie forschen über Ultrahochleistungsbeton. Inwieweit sind die Potenziale des Baustoffs Beton bis heute ausgeschöpft?
Neben den derzeitigen Entwicklungen zur additiven Fertigung und den Anstrengungen zur CO2-Reduktion sind die Potenziale des Betons bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Die Herstellung gradierter Betonbauteile nach dem Prinzip ‚form follows force‘ ist beispielsweise wichtig. Es gibt Bereiche, in denen Bewehrungs- und Baustahl ersetzt werden können. Mit unserer Entwicklung von Zahnrädern aus Ultrahochleistungsbeton haben wir einen Weg zum Ersatz von Baustahl aufgezeigt. Künftige Einsatzbereiche wären korrosionsempfindliche Bauteile, zum Beispiel aus dem Wasserbau.
An welchen Bewehrungstechnologien arbeiten Sie? Neben herkömmlichen Stahlbewehrungen sind korrosionsbeständige Alternativen zum Beispiel aus Carbon oder Basaltfasern immer stärker im Kommen.
Wir haben vor einigen Jahren Untersuchungen an textilbewehrten Leichtbetonbauteilen vorgenommen, sowohl theoretisch als auch experimentell. Dies war vielversprechend. Im Rahmen unserer Entwicklungen zum Hochleistungsaerogelbeton verwenden wir Bewehrung aus GFK, dies funktioniert außerordentlich gut.
Was zeichnet das Material Hochleistungsaerogelbeton aus? Steht einem großmaßstäblichen Einsatz davon etwas entgegen?
Der Hochleistungsaerogelbeton ist ein multifunktionaler Beton, der wärmedämmende, schallisolierende und brandresistente Eigenschaften mit relativ hoher Betonfestigkeit vereint. Auch photokatalytische Eigenschaften kann er aufweisen. Insofern kann mit diesem Beton eine einschalige Bauweise der Außenhülle von Gebäuden gewährleistet werden. Zusätzliche Isolierung ist dann nicht mehr erforderlich. Biegebeanspruchte Bauteile können bewehrt ausgeführt werden, ein Bemessungsverfahren haben wir entwickelt. Wir haben jedoch noch keine bauaufsichtliche Zulassung. Dieses und die Neuartigkeit
des Materials sowie die konservative Zurückhaltung der Bauindustrie hemmen bisher den Einsatz.
Sie untersuchen das Trag- und Verformungsverhalten von unbewehrtem Beton sowie aus Stahl- und Spannbeton. Sind die Eigenschaften des Betons vielfältiger als erwartet?
Ja, grundsätzlich ist jedoch immer das Baumaterial entsprechend seiner Funktion zu wählen. Das bezieht sich auf Beton genauso wie auf Stahl, Glas, Kunststoff oder Holz. Aber der Beton bietet wesentliche Vorteile hinsichtlich seiner freien Formbarkeit, der auf die Funktion einstellbaren Festigkeit und Dichte, Robustheit bis hin zur farblichen Gestaltung.
Wie können wir zukünftig schlanker bauen, ohne an Tragfähigkeit zu verlieren?
Wir können zum einen vermehrt hochfeste und ultrahochfeste Betone und Leichtbetone einsetzen, aber auch die in Deutschland etwas vernachlässigte Spannbetonbauweise im Hochbau etablieren. Der Fertigteilbau bietet ebenfalls Potenzial. Zum anderen sollte die Ingenieurleistung wieder im Vordergrund stehen: Wir sollten Tragwerk und Konstruktion sinnvoll gestalten und konstruieren, den Ingenieurverstand einschalten. Unsere umfangreichen Normen blockieren dies leider häufig. Zudem muss die Ingenieurleistung frühzeitig und umfassend erbracht und honoriert werden.
Für die weltweit jährlich sechs bis acht Prozent CO2-Emissionen ist hauptsächlich das unverzichtbare Bindemittel Zement im Beton verantwortlich. Sehen Sie neben bekannten Bemühungen wie dem verstärkten Einsatz von Klinkerersatzstoffen wie Hüttensand oder Kalksteinmehl weitere Erfolg versprechende Ansätze?
Hier gibt es eine Vielzahl von Ansätzen, dazu gehört die Substitution und Teilsubstitution von Zement durch alternative Binder oder Zementersatzstoffe, aber auch die Bemühungen der Zementindustrie, den Energiebedarf bei der Herstellung zu verringern oder grüne Energie einzusetzen. Weitere Forschungsarbeiten beschäftigen sich mit Biobeton, zum Beispiel unter Einsatz von Bakterien. Zwei Aspekte werden aber unterbewertet: erstens das ingenieurmäßige Denken, um ressourcenoptimiert zu bemessen und konstruieren. Hiermit beschäftigt sich der Deutsche Ausschuss für Stahlbeton sinnvollerweise seit einigen Jahren. Zweitens die Baustelle, das heißt, die ressourcenschonende Produktion vor Ort.
Wir beobachten zunehmend den Einsatz von nachhaltigeren Betonen mit rezyklierten Gesteinskörnungen, die allerdings noch nicht für Bauteile aus Spannbeton und Leichtbeton zulässig sind. Inwieweit prognostizieren Sie hier weitere Entwicklungen?
Der Recyclingbeton ist nicht neu. Bereits in den 1990er-Jahren stand dieser im Fokus der Forschung, geriet aber leider in Vergessenheit. Daher ist es wichtig, hier wieder anzusetzen. Für Bauteile aus Spannbeton sind die Betoneigenschaften hinsichtlich beispielsweise Festigkeit, Elastizitätsmodul, zeitabhängigem Materialverhalten besonders relevant. Daher ist abzuwägen, ob ein Einsatz von Recyclingbeton hier sinnvoll ist. Ähnlich verhält es sich mit Leichtbetonbauteilen, die rezyklierte Gesteinskörnung müsste eine entsprechend niedrige Rohdichte aufweisen. Aber die Entwicklungen werden weitergehen, so testen wir beispielsweise für unseren Hochleistungsaerogelbeton Aerogele aus Recyclat.
Sie haben Betonexperimente auf die ISS geschickt. Welche dieser Erkenntnisse fließen ins Bauen auf der Erde ein?
Hier gibt es zwei Projektziele: Erstens haben wir die Erhärtung des Betons unter Ausschluss der Gravitation erforscht, um ein besseres Verständnis der Hydrationsprozesse zu erlangen und zukünftig eine Zementersparnis zu ermöglichen. Zweitens haben wir untersucht und gezeigt, dass der Einsatz des Baustoffs Beton auf dem Mond möglich wäre. Im Rahmen unserer Versuche hat sich auch gezeigt, dass Mondgestein – in unserem Fall, das Mondgesteinssimulat Regolith – ein wirkungsvoller Zuschlag ist. Den Einfluss von Zusatzmitteln haben wir ebenfalls unter Schwerelosigkeit untersucht; mit sehr interessanten Ergebnissen, die aber erst noch veröffentlicht werden.