Magazin der Schüßler-Plan Gruppe
Ausgabe 23 | 2024 Mut
Der Flughafen Tegel ist zu und macht Platz für die wachsende Hauptstadt. Wo einst der ehemalige Flughafen war, entsteht heute ein nachhaltiges, soziales Modellquartier sowie die Urban Tech Republic, in der Wissenschaft, Forschung und Industrie zusammenkommen. Als Reallabor für die Stadt der Zukunft soll der neue Standort nicht nur Arbeiten, Wohnen und Freizeit einen Rahmen geben, sondern auch der Erforschung, Entwicklung und Produktion von neuen Baumaterialien sowie neuen Lösungen in den Bereichen Mobilität, Energie, Wasser, IKT oder Recycling. Eine Universität soll hier ansiedeln, ein Innovationszentrum entstehen. Bis 2045 soll das gesamte Gebiet fertig sein.
Mit dem ursprünglich von gmp geplanten Flughafen verbinden sich nicht nur Fernweh, Emotionen und ein Symbol für den Anschluss an Westdeutschland, sondern das sechseckige Gebäude und Ingenieurbauwerk ist auch eine radikal moderne Architekturikone der Technikbegeisterung und Pop-Art der 1970er Jahre sowie ein Meilenstein der autogerechten Stadt. „Was dieses Gebäude so besonders macht“, meint Gudrun Sack darüber hinaus, „ist, dass es unheimlich demokratisch ist. Dass der Flughafen auf jegliche Machtsymbolik verzichtet, macht seine Attitüde, seine Haltung, sein Habitus weltweit einzigartig“, sagt die Geschäftsführerin der Tegel Projekt GmbH.
Es ist eine Herkulesaufgabe, dieses Gebäude denkmalgerecht zu sanieren. Gleichzeitig ist so ein Areal mitten in der Stadt eine riesige Chance.
Nachleben
Diese starke Idee und Kraft des Ortes, alles, was Konzeptcharakter hat, bis zu den Türgriffen, sind sich Wolfgang Strobl und Tobias Nickl einig, sollte möglichst erhalten werden. „Für mich bleibt Tegel neben dem Bildhaften ein energetischer Ort“, sagt Tobias Nickl: „Da haben viele eine Menge Mut gehabt.“ Diesen Mut, diesen Entwicklungsraum und diese Verantwortungsbereitschaft gilt es nun, weiterzuführen. „Er soll eine Chance bieten nicht nur für die, die den Flughafen erfahren haben,“ sagt Tobias Nickl, Leitung Generalplanung bei Schüßler-Plan in Berlin, „sondern vor allem für die, die ein Leben nach dem Flughafen gestalten wollen.“ Dass die mit der innerstädtischen Flughafennutzung verbundenen Konflikte, wie Lärm und Sicherheitsanforderungen, jetzt wegfallen, beschreibt er als einen enormen Gewinn für die Stadtgesellschaft.
Der ganze Flughafen steht nahezu ausnahmslos unter Denkmalschutz, selbst die Flächen mit den Markierungen um das Gebäude herum. Das macht die Transformation nicht einfach. „Es ist eine Herkulesaufgabe, dieses Gebäude denkmalgerecht zu sanieren,“ so Gudrun Sack. Gleichzeitig ist so ein Areal mitten in der Stadt eine riesige Chance: „Das ist ein unglaubliches Potenzial, das Berlin hier hat“.
Der Nutzungswechsel, glaubt auch Tobias Nickl, sei die größte Herausforderung für das Gebäude. Man kompensiere dabei die baukonstruktiven Schwächen, die nicht vollständig behoben werden können, ohne das Gebäude grundlegend zu verändern. Flughäfen seien typologisch spezifische, funktional geprägte Verteilgebäude für Passagiere und Gepäck. Dem versuche die Planung entgegenzukommen, beispielsweise dadurch, dass das Zentralgebäude Eintrittsbereich und Übergang zu neuen Funktionen und damit ein publikumsreicher Ort bleibe.
Urbane Mine
TXL ist ein riesiges Rohstofflager, Konzepte für die Wiederverwertung sind vorhanden. Wie sieht die Praxis hier aus? „Wir leben in einer Übergangszeit“, meint Tobias Nickl: „70er-Jahre-Gebäude kommen an das Ende ihres Lebenszyklus und stehen nun vor der Frage der Nachnutzung. Nicht nur unter den Aspekten der Denkmalwürdigkeit, sondern auch der Nachhaltigkeit und der Kreislaufwirtschaft, müssen wir aufhören, Dinge abzureißen.“
„Soweit die Baustoffe nicht asbesthaltig sind, sollen sie wiederverwertet werden. Dazu wird eine Börse für Urban Mining aufgebaut“, erzählt Wolfgang Strobl, Geschäftsführer der Schüßler-Plan Generalplanungsgesellschaft mbH. Dabei sei der Flughafen mit der gesamten Stadt in einem Urban-Mining-System. Was nicht hier verwendet werden könne, fließt an anderer Stelle ein. Auch hier müssten die Planer*innen neue Wege einschlagen, sagt Tobias Nickl: „Wir wissen, dass wir zu einer Kreislaufwirtschaft hinmüssen, aber noch nicht über welchen Weg. Der Imperativ ist: anfangen.“ Dabei hilft eine Urban Mining-Potenzialanalyse zu wiederverwendbaren Baustoffen. Terrazzo, Holzwände, Stahlkonstruktionen, Holzvertäfelungen, Heizkörper – alles wird mit Blick auf die Wertstoffbörse analysiert. Ein weiteres Kernelement von Berlin TXL auf dem Weg zum CO2-neutralen Stadtviertel sei das Low-Exergie-Netz, ein wasserbasiertes Niedrigtemperaturnetz, das über das gesamte Gebiet laufe, erklärt Gudrun Sack. Statt hausweise wird im System Wärme und Kälte geteilt. Als ein Marktplatz der Energien kann Abwärme eingespeist werden, weiterhin sieht das Konzept Geothermie, Solaranlagen und Windkraft vor. „Ein nachhaltiges Energiekonzept dieser Größe“, meint sie, „ist einzigartig.“
Untypisch
Wie gelingt bei einem derartig komplexen, langfristigen Projekt der Erfolg? Schüßler-Plan denkt grundsätzlich als Generalplaner im Sinne einer ganzheitlichen Koordination sowie Integration aller Fachbereiche und bietet eine Plattform für alle Projektbeteiligten. Wolfgang Strobl beschreibt das als Schritt, Verantwortung zu übernehmen – auch für die Leistungen anderer. Dieses Selbstverständnis ermöglicht ganzheitliche Lösungen für komplexe Projekte und Aufgaben über die eigenen Leistungsbereiche hinaus. „Wir bringen projektspezifisch jeweils die besten Spieler*innen aufs Feld“, sagt Wolfgang Strobl. „Einer der Kerne ist“, ergänzt Wolfgang Strobl, „strategisch und adaptiv zu arbeiten: Alle brauchen Raum, sodass jeder mit seinen Stärken zur Geltung kommen kann. Wir passen aufeinander auf und bereiten unseren Partner*innen einen Rahmen, in dem sie mit ihrem Know-how bestmöglich wirksam sein können. Das ist für uns ein Erfolgs- und Identitätsfaktor.“
„Sich in so ein Gebäude hineinzudenken und es bauphysikalisch und ingenieurstechnisch in die Jetzt-Zeit und für eine vollkommen neue Nutzung zu transformieren, hat Schüßler-Plan mit Bravour gelöst,“ ergänzt Gudrun Sack. „Für uns als Bauherren ist es entscheidend, dass die Zusammenarbeit sehr gut funktioniert und wir gemeinsam an einem Strang ziehen, um diese Ergebnisse zu erreichen.“ Das Projekt sei ein untypisches Bauvorhaben, fügt Tobias Nickl hinzu: „Es gibt kein Referenzprojekt für die Transformation eines Flughafengebäudes in etwas Neues. Das ist ein Wagnis und ein Ausprobieren, ein gemeinschaftliches Vortasten. Das Konkretisieren des Potenzials, wie wir mit Stadt, Materialien und Energien umgehen, findet noch im Planungsprozess statt.“