Magazin der Schüßler-Plan Gruppe
Ausgabe 23 | 2024 Mut
Was folgt, ist, ich gebe es zu, nur eine Hypothese. Aber alle Ideen waren einmal Hypothesen, und wo könnte man eine solche besser entwickeln als auf den Seiten eines Magazins, das „Mut zur Veränderung“ in den Fokus rückt? Die Ausgaben des plan-Magazins bringen Denker*innen, Ingenieur*innen, Architekt*innen, Künstler*innen zusammen und geben damit meiner Hypothese Rückhalt, die den Mangel an Kultur angesichts der dringlichsten politischen Aufgabe unserer Zeit in den Blick nimmt: Menschen für den Klimaschutz zu mobilisieren. Die Hypothese, die ich hier entwickeln möchte, ist im Zusammenhang mit meiner jüngsten Arbeit im Feld der Politischen Ökologie zu verstehen. In unserem Buch "On the Emergence of an Ecological Class" (2022) suchten der verstorbene französische Philosoph Bruno Latour und ich nach einer Erklärung für den Mangel an Affekten im Zusammenhang mit Politischer Ökologie. Wie kommt es, dass die permanente Konfrontation mit Informationen und Beweisen zur wachsenden Klimakatastrophe nicht zu einer stärkeren Klimabewegung führt? Wie kommt es, dass so viele Menschen den Klimawandel als wichtigstes Problem unserer Zeit anerkennen und die grünen Parteien in ganz Europa trotzdem kaum über die Wahlhürde kommen? Warum steht das Verhindern der drohenden Katastrophe nicht im Zentrum des politischen Engagements? Oder, einfacher ausgedrückt: Warum sind wir so wenig betroffen?
Eine Erklärung für diese Schieflage ist das fehlende kulturelle Inventar der Politischen Ökologie der vergangenen fünfzig Jahre. Anstatt ein solches aufzubauen, haben Ökologen viel zu lange auf das gesetzt, was wir eine „pädagogische Vision“ für politische Mobilisierung nennen: die Vorstellung, das Wissen um die kommende Katastrophe reiche, um eine globale Bewegung in Gang zu setzen. Sobald die Menschen die bevorstehende Gefahr erkennen würden, so die Idee, würden sie den Kurs wechseln und das Schiff in einen sicheren Hafen steuern. Im Glauben an die „Vernunft“ und den „guten Willen“ der Menschen vertrauten die Umweltschützer auf Friedrich Hölderlin und sein gutes, altes, hoffnungsvolles Sprichwort: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“
Wie sich jedoch herausstellte, war das Gegenteil der Fall: Mit dieser Art der politischen Mobilisierung schienen nur die Gefahr und die Verzweiflung selbst zu wachsen. Das ist nicht überraschend. Die Sozialgeschichte und ihre Zeugnisse über das Entstehen und Erstarken politischer Ideologien zeigt, dass sogenannte „objektive Interessen“ noch nie ausgereicht haben, um Menschen zum Handeln zu bewegen. Vielmehr braucht man ein ganzes ideologisches und kulturelles Spektrum aus Bildern, Ideen, Vorstellungen, Narrativen, Visionen und Ästhetiken, wenn man politische Affekte schaffen und eine Mehrheit für Veränderungen mobilisieren will.
Der italienische Philosoph Antonio Gramsci nannte dieses Phänomen das „Streben nach Hegemonie“. Damit ist die Einsicht gemeint, dass eine Ideologie, eine politische Partei oder eine soziale Klasse erst dann auf politische Macht hoffen dürfen, wenn sie sich zuvor dem Kulturkampf der Ideen gestellt haben. Diesen Kampf muss man führen, auch wenn man Fakten, Gerechtigkeit und Moral auf seiner Seite weiß und meint, nicht genug Zeit für solche Anstrengungen zu haben. Und warum? Weil der kulturelle Kampf ebenso wichtig ist wie der politische Kampf – oder genauer gesagt, weil man das Reich der „Politik“ nicht erobern kann, ohne zuvor die strategisch wichtige Festung der „Kultur“ besetzt zu haben.
Man könnte auch sagen: Egal, wie gut geölt der Wagen sein mag, ist es sinnvoll, ein Pferd vorzuspannen – selbst wenn das Pferd mit den Hufen scharrt und nur schwerfällig vorankommt. Aber ganz gleich, wie wir es drehen und wenden, es scheint mir, als hätten die Ökolog*innen hier versagt. Und vielleicht ist es jetzt an der Zeit – bitte entschuldigen Sie das Wortspiel – die Diskussion ein wenig zu „erden“.
Stellen Sie sich also vor, Sie schalten den Fernseher ein und werden einmal mehr mit einer Live-Übertragung globalen Leids konfrontiert. Der amerikanische Musiker und Dichter Gil Scott-Heron mag Recht gehabt haben, wenn er sang, die Revolution werde nicht im Fernsehen übertragen, aber dafür wird das Ende der Welt zur Prime-time gesendet. Nach einer langen Einführungssequenz über Waldbrände in Kalifornien, Hitzewellen in Frankreich und Überschwemmungen in Pakistan debattieren vier Politiker*innen in einer Podiumsdiskussion darüber, welche politischen Maßnahmen gegen die unheilvolle Klimakrise ergriffen werden sollten: ein Liberaler, eine Sozialistin, ein Konservativer und eine Ökologin.
Den Zuschauenden dürfte schnell klar werden, dass die ersten drei keine wirksamen politischen Leitlinien in Bezug auf die Klimakrise bieten – die Ideologien, auf denen ihre Argumentationsweisen beruhen, sind zu weit von unserer Realität entfernt. Dafür arbeiten sie mit einem ganzen Universum an Begriffen, Bildern und Erzählungen, die Emotionen wecken. Der Liberalist spricht vielleicht von „individueller
Freiheit“ und „persönlicher Verantwortung“, der Sozialist von „Solidarität“ und „Gleichheit“ und der Konservative von „der Nation“ oder „dem Volk“. Begriffe wie diese verleihen dem politischen Vorhaben ideologische Würze, ja, ästhetisieren es vielleicht sogar durch ihre historische und kulturelle Konnotation.
Bei den Ökolog*innen hingegen liegen die Dinge anders. Für sie ist offensichtlich, dass wir mit einer bisher unbekannten Gefahr konfrontiert sind, dass wir in einer anderen Welt leben, als wir dachten, und dass es dringend notwendig ist, ein produktives Zusammenspiel zwischen der Politik, den Menschen und dem Planeten herzustellen. Aber wann haben wir je gehört, dass Ökolog*innen Begriffe oder Erzählungen anbieten, die den „Ökologismus“ attraktiv erscheinen lassen? So gut wie nie. Stattdessen zeigen sie sich panisch angesichts des Status quo und moralisieren die Untätigkeit der Menschen, was zu einem furchtbar langweiligen Cocktail aus „müssen“ und „sollen“ führt – fade genug um selbst das aufgeschlossenste Publikum zum Gähnen zu bringen.
Dies, so scheint mir, ist die Hauptursache für den Mangel an Affekten in Bezug auf Politische Ökologie. Notwendigkeiten langweilen, Panik ermüdet und "wählen" hat mit einer Wahl zu tun, das heißt mit einer aktiven Entscheidung für etwas. Was mich zu meiner Frage zurückbringt: Wer wählt schon eine Partei, weil er sie wählen muss, damit der Planet nicht stirbt, oder weil er sie aus moralischen Gründen wählen sollte? Verständlicherweise – fast niemand.
Wenn es der Politischen Ökologie also nicht gelungen ist, den politischen Kampf zu gewinnen, dann deshalb, weil sie den kulturellen Kampf weitgehend vernachlässigt hat. Stattdessen glaubte man, man könne sich auf den „harten Fakten“ der kommenden Katastrophe ausruhen, die man zuvor moralisiert hatte. Dabei lehrt uns das „Buch der Sprüche“ Kapitel 27, Vers 12: „Der Kluge sieht das Unheil und verbirgt sich“. Statt sich auf Hölderlins Vertrauen in die transformierende Kraft der Gefahr zu verlassen, sollten Ökolog*innen daher lieber den Hinweis der Künstlerin Jenny Holzer ernst nehmen, dass ein „Mangel an Charisma fatal sein kann“. Denn das gilt natürlich auch für den Bereich der Politik.
Wie oben angedeutet, könnte diesem Affektdefizit mit einem von Grund auf neu entwickelten kulturellen Archiv aus ökologischen Ideen, Bildern, Ästhetiken, Erzählungen und Visionen begegnet werden, um die Politische Ökologie mit attraktiven Konnotationen zu versehen. Nur mithilfe eines solchen Registers kann Ökologie Begeisterung hervorrufen, und nur mit einem solchen Register können die Menschen sich in der Ökologie wiederfinden. Erst wenn das erreicht ist, kann die Ökologie beginnen, mit den althergebrachten Ideologien zu konkurrieren, die in den vergangenen Jahrhunderten die Geschichte bestimmt haben. Inzwischen sollte klar geworden sein, dass es für Ökolog*innen entscheidend ist, Allianzen im Bereich der schaffenden Künste zu schließen. Filmemacher*innen, Schriftsteller*innen, Musiker*innen, Maler*innen und nicht zuletzt Architekt*innen und Ingenieur*innen – wir brauchen sie alle, wenn wir Affekte, Identifikation und Haltungen in Bezug auf die aktuelle Situation hervorrufen wollen. Daher sollten Akteur*innen nachhaltiger Entwicklung sich mit Menschen aus dem schaffenden Bereich zusammentun, die es verstehen, andere zu berühren. Gleichzeitig rufe ich alle Akteur*innen im schaffenden Bereich auf, den Ökolog*innen bei ihren Bemühungen zur Hilfe zu kommen, indem sie das tun, was sie am besten können: Affekte und Empfindungen hervorrufen. Die Erhaltung der Bewohnbarkeit des Planeten könnte davon abhängen.
Übersetzung aus dem Englischen von Hanna Sturm