Magazin der Schüßler-Plan Gruppe
Ausgabe 24 | 2025 Transformation
Digitalisierung, Automatisierung und Transformation werden oft in einem Atemzug genannt. Wie hängen diese Begriffe zusammen?
Markus König: "Digitalisierung" bedeutet heutzutage, Inhalte nicht mehr nur digital verfügbar, sondern auch digital lesbar zu machen. Eine Bauakte beispielsweise lediglich im PDF-Format zu erfassen, reicht nach meinem Verständnis nicht mehr aus: Denn solange ich die Datei als Mensch weiterhin aufmachen, angucken, auslesen und interpretieren muss, arbeite ich eigentlich weiterhin analog – nur dass ich ein digitales Medium dafür nutze. Wenn es uns aber gelingt, entsprechende Prozesse digital zusammenzuführen, ändert sich das Arbeiten grundlegend, so dass wir eventuell von einer Transformation sprechen können. Und in einem weiteren Schritt können wir dann darüber nachdenken, bestimmte Prozesse zu automatisieren.
Michael Richter: Wobei kleine, praxisnahe Fortschritte aus Unternehmenssicht oft zielführender sind als der Versuch, direkt den großen Wurf zu wagen. Gleichzeitig müssen wir in puncto Digitalisierung natürlich an Tempo zulegen, denn im internationalen Vergleich sind wir hierzulande noch nicht dort, wo wir sein sollten.
Weshalb verläuft die Digitalisierung des Bauens in Deutschland so schleppend?
Andreas Bach: Zum einem haben wir hier einen umfassenden und zum Teil hinderlichen Normenstand, der digitalen Prozessen und Strukturen entgegensteht. Entwicklungen werden hierdurch recht komplex und kleinteilig. Zum anderen ist es eine Mentalitätsfrage: Um digitale Mehrwerte auf Projektebene zu heben, müssen Akteure hier gemeinschaftlich auf Augenhöhe zusammenkommen und die Bereitschaft haben, neue Prozesse zu leben und zu implementieren. Das benötigt Zeit und auch das nötige Investment. Das muss konsequent verfolgt werden.
Warum sollte uns daran gelegen sein, diesen Umstand zu ändern?
Richter: Die wesentlichen Möglichkeiten des digitalen Arbeitens liegen darin, Synergien und Transparenzen zu schaffen, kollaborativ an Projekten zu arbeiten und Informationen schneller fließen zu lassen. So werden wir in Summe effizienter und können auf die Herausforderungen unserer Zeit reagieren: etwa kostengünstigen, klimafreundlichen Wohnraum schaffen oder unseren Bestand weiterentwickeln.
Wie können wir den digitalen Wandel konkret beschleunigen?
Bach: Ganz entscheidend ist eine Kultur des Miteinanders – im Unternehmen, aber auch im Zusammenspiel mit externen Projektbeteiligten. Digitalisierung ist ein Führungsthema, das von oberster Stelle, aber genauso vom mittleren Management gelebt werden muss und gute Social Skills erfordert. Denn wenn ich Prozesse verbessern möchte, muss ich dafür die richtigen Leute an einen Tisch bringen.
Richter: Häufig wird aber noch versucht, Digitalisierungsthemen von Planungsthemen im Unternehmen oder im Projekt zu trennen – und das ist für mich der falsche Weg. Nur wenn Mitarbeiter, die ein Projekt tatsächlich bearbeiten und beeinflussen, einbezogen werden, lassen sich praxisnahe Lösungen entwickeln. Auch heute leben digitale Planungsprojekte von einer iterativen Lösungsfindung. Idealerweise spiegelt sich dies in einem digitalisierten Projekt wider. Wir müssen darauf hinwirken, dass alle Projektbeteiligten ein gleiches Verständnis haben und bei Datenabgaben nicht direkt ein finales Resultat erwarten.
König: Ich denke, wir müssen von unserem Perfektionsdenken und der Angst, Fehler zu machen, ein Stück wegkommen. Digitale Prozesse leben davon, dass nicht alles von vornherein richtig läuft. Es geht vielmehr darum, Erfahrungswerte während des Projekts zu dokumentieren, auszuwerten und dieses Wissen nutzbar zu machen – auch Dinge, die nicht so gut funktioniert haben. Nur so können wir aus Fehlern lernen.
Welchen Beitrag kann die akademische Ausbildung hierzu leisten?
König: Egal ob im Unternehmen oder an der Uni, es ist immer sinnvoll, digitale Ziele an ein konkretes Projekt zu knüpfen. In der Lehre setzen wir deshalb auf gemeinschaftliche Projektarbeiten. Auf diese Weise möchten wir den Studierenden ein Gefühl davon vermitteln, wie es ist, Teil einer kollaborativen Methode zu sein – so wie es das Building Information Modeling (BIM) erfordert. Wir merken aber, dass diese Art des Arbeitens noch vielen schwerfällt.
BIM gilt gemeinhin als Digitalisierungstreiber, trotzdem tun sich viele Unternehmen der Baubranche mit dieser Planungsmethode schwer. Wieso?
Bach: Ein entscheidender Faktor bleibt der Kompetenzaufbau. Die Beteiligten müssen zu Projektbeginn methodisch und fachlich auf einen sinnvollen Stand gebracht werden. Die mit der Methode verbundenen Möglichkeiten, aber auch Restriktionen sollten bekannt sein. Nur so erfahren die Änderungen die nötige Akzeptanz. Anforderungen und Vorgaben sollten aus meiner Sicht vereinfacht werden. Die Vertragsvorgaben zu BIM dominieren mitunter den Vertrag. Das ist kein angemessenes Verhältnis. Branchenweit anerkannte, allgemeingültige Vorgaben können hier entgegenwirken und zu einer breiteren Akzeptanz beitragen.
Richter: Es muss alles einfacher werden: ob von unserer Seite als Planungsbüro, seitens der Industrie, auf der Baustelle, aber eben auch die Vorgaben, die von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich sind. Wenn es uns gelingt, unseren Ingenieursachverstand mit digitalen Methoden zu kombinieren, werden wir irgendwann die Potenziale heben können. Denn wir sehen bereits jetzt, dass wir überall dort, wo wir erfolgreich mit BIM arbeiten, sehr gute Ergebnisse in Bezug auf die Planungstiefe, die Genauigkeit und Kundenzufriedenheit erzielen.
König: Wichtig ist, dass ich mich bei einem Projekt von vornherein für oder gegen BIM entscheide, ansonsten wird es meist teuer und im Ergebnis nicht zufriedenstellend. Heißt: Wenn ich mich für eine konventionelle Herangehensweise entscheide, dann sollte ich dabeibleiben und nicht im Nachgang versuchen, BIM als Alibi obendrauf zu setzen. Das funktioniert nicht.
KI ist ein weiteres Thema, das die Branche prägen wird. Wie verändert sich dadurch die Rolle der Ingenieur*innen?
König: KI und Automatisierung haben ihre Stärken in Bereichen, die klaren Standards und Regeln unterliegen. Gelingt es, gute Datengrundlagen zu schaffen, wird KI vermutlich schon in wenigen Jahren Ingenieurswissen hinreichend abbilden und bei formalisierten Arbeitsprozessen unterstützen können. Genau deshalb sollten wir jetzt damit beginnen, die Lehre entsprechend anzupassen, Kompetenzen auch in den Unternehmen aufzubauen, um Ängste abzubauen. Denn der Mensch wird gerade dort weiterhin benötigt, wo es individueller Denkleistungen bedarf. Bestenfalls können wir unseren Ingenieurinnen und Ingenieuren sogar mehr kreative Freiräume verschaffen, wenn zeitfressende Aufgaben wie Erläuterungsberichte bald KI-gestützt erstellt werden. Vielleicht finden wir darüber auch eine Antwort auf den Fachkräftemangel.
In welchen Bereichen werden KI und Automatisierung das Bauen am stärksten beeinflussen?
Richter: Besonders für die serielle Vorfertigung und den Modulbau sehe ich Potenziale. Wenn wir schneller und kostengünstiger werden wollen, müssen wir mehr Gebäude und Infrastrukturbauten wie etwa Brücken nach vordefinierten Parametern errichten. Genau dort hat die KI ihre Stärken. Auch wenn es darum geht, unseren Bestand zu digitalisieren – gerade mit Blick auf das zirkuläre Bauen – ist die KI unsere große Chance.
Bach: Teilweise nutzen wir schon generative KI, beispielsweise zur Optimierung von Tragwerken wie Fußgängerbrücken oder in der Tunnelplanung. Durch evolutionäre Algorithmen können wir eine Vielzahl an Varianten erstellen und bewerten. Das führt zu innovativen Entwürfen und neuen Lösungsansätzen. Zeitgleich vereinfachen und digitalisieren wir unsere Regelprozesse: So haben wir Tools für die modellbasierte Kostenermittlung und Terminplanung entwickelt, die regelgestützt und automatisiert arbeiten. Unsere Lösungsansätze prüfen wir auf ihr Marktpotential und vermarkten diese mitunter eigenständig. Unser Leistungsspektrum wird dadurch sukzessive um digitale Dienste und Produkte erweitert, für uns ein logischer nächster Schritt.
Mit „SP Search“ läuft bei Schüßler-Plan gerade ein weiteres internes Digitalisierungsprojekt an. Was hat es damit auf sich?
Bach: Wir haben eine Unmenge an Daten im Unternehmen. Die Idee ist, eine Suchumgebung zu schaffen, die diesen Wissensschatz standortübergreifend allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zugänglich macht. Jetzt gehen wir den ersten Schritt und werden eine Enterprise-Search-Umgebung zu Verfügung stellen, welche die Informationen datenschutzkonform durchsuchen lässt. Im nächsten Schritt geht es darum, die Daten anzureichern, um die Inhalte über Dateigrenzen hinweg zu beschreiben. Mit dem Ziel diese dann weitergehender nutzen zu können.
Richter: Ursprünglich hatten wir eine klassische Search-Engine im Sinn. Nun entwickelt sich der „Suchgedanke“ aber zunehmend zu einem „KI-Gedanken“, so dass wir künftig eventuell mit den Dokumenten interagieren können. Und wer weiß? Vielleicht ergeben sich dann Möglichkeiten, eine Projekt-KI gemeinsam mit externen Partnern zu nutzen.
Stichwort Zukunftsmusik: Wo sehen Sie die Baubranche bezüglich Digitalisierung, Automation und KI in fünf Jahren?
Bach: In vielen Bereichen wird man künftig deutlich enger und gemeinschaftlicher zusammenarbeiten – also mehr Kollaboration bei der Kostenermittlung, bei der Terminplanung. KI wird in vielen Bereichen auch in die Anwendung reingehen, etwa in Form von Sprachmodellen, die es erlauben, ohne Tastatur und Maus über die Stimme zu arbeiten.
Richter: Ich glaube nicht, dass wir in fünf Jahren eine komplett einheitliche Datenstruktur haben, aber ich kann mir sehr gut vorstellen, dass es dann normal ist, eine Art Bau-Chat für den täglichen Planungsprozess zu haben.
König: Hoffentlich wenden wir die Möglichkeiten, die wir heute schon haben, häufiger an. Im Bereich KI wird sich viel entwickeln. Ich bin selbst überrascht, mit welcher Rasanz sich dieser Prozess vollzieht und denke trotz einer gewissen Skepsis: Wer da nicht mitmacht, wird künftig abgehängt werden – und zwar deutlich schneller, als es heute beim Thema BIM der Fall ist.
Markus König ist Professor für Informatik im Bauwesen an der Ruhr-Universität Bochum.
Michael Richter ist Mitglied der Geschäftsleitung bei Schüßler-Plan Frankfurt.
Andreas Bach ist Geschäftsführender Gesellschafter von Schüßler-Plan Digital.