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Magazin der Schüßler-Plan Gruppe

Ausgabe 22 | 2024 Alles klar!

Dialog l Integrierte Projektabwicklung

Lösungsfindung statt Leistungskorsett

Kooperative Vertragsmodelle wie die Integrierte Projektabwicklung (IPA) bieten Auftraggeber*innen neue Möglichkeiten, komplexe Großbauvorhaben erfolgreich im vorgegebenen Zeit und Kostenrahmen umzusetzen. Ein solches Modell ist das „Partnerschaftsmodell Schiene“, das seitens der Technischen Universität Berlin in Zusammenarbeit mit der Deutschen Bahn, dem Hauptverband der Bauindustrie und dem Verband Beratender Ingenieure ins Leben gerufen wurde. IPA-Experte und Mitentwickler des „Partnerschaftsmodell Schiene“, Matthias Sundermeier, Professor an der TU Berlin, zieht eine Zwischenbilanz.

Bauvorhaben werden mit dem Ziel begonnen, die Planungs- und Baukosten einzuhalten. Bei konventionellen Abwicklungsmodellen zeigen sich die Grenzen oft: Sie geben Planer*innen und Bauunternehmen mit starren vertraglichen Leistungszuschnitt wenig Spielraum und wenig Anreize, innovative Vorschläge zur Qualitäts-, Funktions- oder Bauzeitoptimierung einzubringen – selbst dann, wenn diese im wirtschaftlichen Interesse des Vorhabenträgers liegen würden. Mit zunehmender Komplexität eines Bauvorhabens steigt deshalb das Risiko von Zielverfehlungen und die Gefahr von Konflikten zwischen den Projektbeteiligten. Gleichwohl wird noch verbreitet an den konventionellen Modellen der Projektabwicklung festgehalten.

In Ihrer Studie zu Herausforderungen und Potenzialen der Integrierten Projektabwicklung betonen Sie die immaterielle Wertschöpfung.

IPA bietet sich dort an, wo Bauvorhaben mit hohem technischem oder organisatorischem Komplexitätsgrad realisiert werden müssen. Hier sind die Projektbeteiligten gefordert, nicht etwa „Konfektionsware“ anzubieten, sondern kluge individuelle und innovative Lösungen zu entwickeln, die oft erst im Zusammenspiel mehrerer ingenieurtechnischer Fachdisziplinen gefunden werden können. Der Mehrwert dieser Lösungen kommt mit einem erfolgreichen Projekt nicht allein dem Kunden zugute, sondern er schafft auch Spielraum für eine angemessene wirtschaftliche Beteiligung aller Partner, die gemeinsam zum Projekterfolg beigetragen haben.

Welche Managementkompetenzen sind im IPA-Projekt relevant? Und welche Unterschiede gibt es zu einem „business as usual“-Vertragsmodell?

Wie bei jedem anderen Bauvorhaben geht es auch bei IPA-Projekten darum, den Werkerfolg – die vom Kunden verlangte Zweckerfüllung – innerhalb der verfügbaren Projektlaufzeit und des vereinbarten Budgets herbeizuführen. Das Projektmanagement richtet sich also auch bei IPA auf die Steuerung von Kosten, Terminen und Qualitäten. Anders als bei konventionellen Vorhaben stehen bei IPA jedoch die Wertschöpfungstreiber als Allianzpartner gemeinschaftlich in der
Verantwortung für den Erfolg. Die Rollenverteilung folgt dabei dem Grundsatz ‚best for job‘: Sämtliche Aufgaben werden vom bestgeeigneten Allianzpartner verantwortet und in partnerübergreifenden Teams bearbeitet. Gefordert ist dabei ein hohes Maß an Kooperation und Kommunikation, Transparenz, Offenheit sowie ganzheitliches, vorausschauendes Denken über den Tellerrand hinaus.

11. Januar 2024 – Eröffnung Neues Werk Cottbus: Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn Richard Lutz, Bundeskanzler Olaf Scholz und Dietmar Woidke, Ministerpräsident von Brandenburg überzeugten sich von der schnellen Realisierung.
Durch welche kollaborativen Werkzeuge des Projektmanagements kann die kooperative Projektabwicklung unterstützt werden? Warum kommt es in IPA-Projekten besonders auf den Ingenieurgeist an?

Zuerst kommt es darauf an, über Firmengrenzen hinaus echte Kollaboration und Kooperation entstehen zu lassen. Das gelingt am besten, wenn die Projektbeteiligten tatsächlich zusammenarbeiten, in Präsenz in einem gemeinsamen Projektbüro. Hier lassen sich Werkzeuge wie BIM oder Lean-Methoden sehr gut einbetten. Unterschätzt wird bei IPA oft die Bedeutung klassischer Instrumente der Projektsteuerung: Klar definierte Rollen und Verantwortlichkeiten der Beteiligten sind ebenso unabdingbar wie effiziente Prozesse und ein leistungsfähiges Berichtswesen. In aller Regel wird es deshalb anzuraten sein, dass sich die Allianzpartner gemeinsam durch eine Projektsteuerung unterstützen lassen, die den Informationsfluss organisiert.

IPA klingt attraktiv, ist aber in Deutschland noch wenig erprobt. Neue Modelle setzen am Anfang einen erhöhten Einsatz voraus, die Vertragsart gibt es im deutschen Rechtssystem bisher nicht. Bedeutet IPA eher einen Mehraufwand?

In der Tat bedeutet IPA nicht weniger als einen Paradigmenwechsel in der Abwicklung anspruchsvoller Bauprojekte – weg von der Verfolgung von Partikularinteressen, hin zu einer Wertschöpfungspartnerschaft zwischen Bauherr*in, Planer*innen und Bauunternehmen. Damit dieser Wandel gelingt, braucht es klare Spielregeln. Auf den ersten Blick erscheint dies sicherlich ebenso als Mehraufwand wie die frühzeitige Einbindung von Bauunternehmen in die Planung und die Bausolldefinition. Demgegenüber erspart man sich jedoch einen gegebenenfalls erheblichen Mehraufwand aus planerischen Überarbeitungen, Ablaufstörungen oder Streitigkeiten um Nachträge. Ein anfänglicher Mehraufwand dürfte deshalb durch eine reibungslosere Projektdurchführung und ein besseres Projektergebnis deutlich überkompensiert werden.

Sie begleiten das „Partnerschaftsmodell Schiene“, unter anderem beim IPA Pilotprojekt „Neues Werk Cottbus“ des Bahn-Konzerns. Die erste Halle des neuen Werkes wurde Anfang 2024 nach nur 21 Monaten Bauzeit in Betrieb genommen. Welchen Anteil an diesem Erfolg hat die Integrierte Projektabwicklung aus Ihrer Sicht?

Das „Neue Werk Cottbus“ setzt Maßstäbe in puncto Realisierungsgeschwindigkeit. Denn parallel zur Planung und Errichtung der ersten Halle in Rekordzeit haben die Allianzpartner zudem die Planung für den folgenden, noch weitaus größeren Werkteil erledigt und umfangreiche bauvorbereitende Maßnahmen durchgeführt. Alle Beteiligten sind sich einig, dass dies mit konventionellen Methoden nicht im Ansatz gelungen wäre – die IPA im „Partnerschaftsmodell Schiene“ war deshalb ein Erfolgsgarant. Hervorzuheben ist dabei die Flexibilität des Modells im Umgang mit veränderlichen Rahmenbedingungen: Wo die Beteiligten bei konventionellen Projekten in starre Leistungskorsetts gepresst sind, werden die Leistungsbeiträge bei IPA stets nach den Erfordernissen des Gesamtprojekts organisiert und nach Selbstkosten vergütet. Bei Problemen können sich die Allianzpartner deshalb ganz auf die Lösungsfindung konzentrieren, statt Schuldzuweisung und Anspruchssicherung zu betreiben.

Univ.-Prof. Dr.-Ing. Matthias Sundermeier legte 2000 sein Diplom an der TU Dortmund ab, wo er 2009 zum Thema „Gestaltungsvorschläge einer ‚Neuen Vertragsordnung’ für Bauleistungen“ promovierte. Parallel zu seiner Forschungs- und Lehrtätigkeit ist er in beratender oder gutachterlicher Funktion für die Praxis aktiv.
Sie sind Mitgesellschafter und Mitgründer des Unternehmens ISG GmbH. Was hat Sie dazu bewegt und worin sehen Sie das Potenzial?

Das Brancheninteresse an IPA ist durch erfolgreiche Pilotvorhaben sprunghaft angestiegen. Uns haben immer mehr Anfragen erreicht, weitere Projekte mit unserer Expertise und Erfahrung zu begleiten. Dieser Entwicklung tragen wir mit der IPA Solutions Group (ISG) GmbH Rechnung und bündeln hier unser Knowhow wie auch die personellen Ressourcen, um IPA-Projekte von der Initiierung bis zur Fertigstellung in allen Fragen begleiten zu können. Mit der ISG bilden wir dabei ein breites IPA-Leistungsspektrum ab – von der Projektstrukturierung über die operative Unterstützung des Projektmanagements bis hin zur Lösung von fachplanerischen Einzelfragen, wie sie in der IPA-Vergabevorbereitung regelmäßig aufkommen – und gewährleisten so ein schnelles, kompetentes Handeln.

Was sind die nächsten Schritte?

Unsere Kunden setzen bei der Realisierung von IPA-Projekten großes Vertrauen in unseren Leistungsbeitrag. Damit wir dem auch weiterhin gerecht werden können, arbeiten wir derzeit nicht allein an einer stetigen Erweiterung unseres engagierten und hochqualifizierten Teams, sondern auch an einer konsequenten Weiterentwicklung unserer Werkzeuge, in die wir unseren Erfahrungsschatz von inzwischen mehr als zehn IPA-Projekten einbringen.

Interview / Pia Langmann und Marie Bruun Yde
Fotos / Deutsche Bahn AG/Oliver Lang